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Landreform

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(Weitergeleitet von Bodenreform)
Indonesische Bauern demonstrieren in Jakarta für Landrechte

Der Begriff Landreform oder Bodenreform bezeichnet die teilweise zwangsweise, durch den Staat beschlossene und vollzogene Änderung des Eigentums an Grund und Boden aus ideologischen, ethnischen, wirtschafts- oder sozialpolitischen Gründen.[1] Es findet dabei eine Änderung der Eigentums- oder Nutzungsrechte an Grundstücken oder allgemein der Rechtsordnung in diesem Bereich statt, die meist eine gleichmäßigere Verteilung des Landbesitzes zum Ziel hat. Hierbei soll der Boden von Großgrundbesitzern zu Kleinbauern und landlosen Landarbeitern umverteilt werden.

Gründe für eine Reform reichen von philosophischen Gerechtigkeitsüberlegungen bis hin zu einer effektiveren Nutzung des Bodens. Mechanismen zu ihrer Umsetzung reichen von der marktgestützten Landreform, bei der Kleinbauern das Land zum Marktpreis kaufen, bis hin zur entschädigungslosen Enteignung der Großgrundbesitzer durch den Staat. Insbesondere Letzteres wird kritisiert, da es in das Grundrecht auf Eigentum eingreift.

Die Geschichte der Landreformen beginnt bei den Reformen der Gracchen im antiken Rom. Im modernen Europa fand die erste Landreform nach der französischen Revolution statt. In vielen ehemaligen Kolonien kam es infolge der Dekolonialisierung zu Bodenreformen. Auch im 21. Jahrhundert gibt es Landreformbewegungen, die vorwiegend in Entwicklungsländern stattfinden.

Motive für Landreformen

Landreformen sollen meist eine gleichmäßigere Verteilung des Landbesitzes erreichen und den Boden von Großgrundbesitzern zu Kleinbauern und landlosen Landarbeitern umverteilen.

Zudem wird oft eine „optimale Betriebsgröße“, das heißt eine nicht „zu große“ und nicht „zu kleine“ Größe landwirtschaftlicher Betriebe angestrebt, wobei diese je nach Zeit, Land, Nutzungsart und Bodenqualität unterschiedlich definiert wird.

Ethische, politische und ideologische Motive

Für die oben erwähnten Ziele werden unter anderem ethisch-philosophische Argumente, wie die soziale Gerechtigkeit angeführt. Dazu kommt die Geschichte des Großgrundbesitzes, zu dessen Entstehung nicht selten militärische Gewalt, Erpressung (Herausbildung der mittelalterlichen Feudalgesellschaft), Übervorteilung (Landkauf in Kolonien) sowie rassistische Gesetze (südrhodesisches Landgesetz) beigetragen haben.

In Gebieten, in denen eine Siedlungskolonisation stattgefunden hat oder sonst zwangsweise Land enteignet wurde, betrachten manche der Enteigneten bzw. deren Nachfahren dies als historisches Unrecht, das durch Landrückgabe oder anderweitige Entschädigung wiedergutgemacht werden müsse. Dies spielt heute insbesondere im südlichen Afrika eine Rolle, wie in Simbabwe. Ähnliche Fragen stellen sich bezüglich der Indianer Amerikas, der Aborigines in Australien und der Māori in Neuseeland. Dabei sind große Unterschiede zu beachten, ob eine vorkoloniale Landwirtschaft verdrängt wurde (Zentralamerika, Andenländer, südliches Afrika, Neuseeland), oder vorher Wildbeutertum bestand (Australien).

Auch politische und religiöse Strömungen, die das (Privat-)Eigentum an Boden grundsätzlich in Frage stellen, zählen zu den Befürwortern von Landreformen. Der Ersatz des Grundeigentums durch bedarfsgerechte Nutzungsrechte der einzelnen Landwirte ist nicht zu verwechseln mit der Kollektivierung kommunistischer Prägung, bei der große Produktionseinheiten fortbestehen oder neu geschaffen werden, theoretisch in der Hand der Werktätigen, praktisch zumeist in der Hand des Staates. Im Kalten Krieg setzten sogar bestimmte antikommunistische Regime verteilende Landreformen zur Rettung ihrer Systeme ein (Land to the Tiller).

Wirtschafts- und sozialpolitische Motive

Befürworter führen sozialpolitische und wirtschaftliche Gründe für Landreformen an. So schafft eine kleinbäuerliche Landwirtschaft generell mehr Arbeitsplätze als eine industriell betriebene großflächige Landwirtschaft; in Brasilien bietet der Großgrundbesitz beispielsweise Arbeit für 420.000 Menschen, wohingegen Kleinbetriebe mehr als 14 Millionen beschäftigen[2]. Landreformen sollen daher oft Arbeit und Existenzgrundlagen für die – zumeist armen – Begünstigten schaffen wie auch die Landflucht eindämmen.

Darüber hinaus kann eine Landreform eine Maßnahme sein, um Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität eines Landes oder Gebietes zu fördern, da Großgrundbesitzer zu einem großen Teil exportorientiert wirtschaften, den als investitionshemmend und daher schädlich geltenden Rentenkapitalismus betreiben oder ihr Land brach liegen lassen, während Kleinbauern eher Grundnahrungsmittel zur Subsistenzwirtschaft und für lokale Märkte anbauen. Brasilien gehört durch die Produktion der riesigen Fazendas zu den führenden Exporteuren von Cash Crops wie Soja, Orangensaftkonzentrat, Kaffee, Rindfleisch etc. Dagegen werden Bohnen und Maniok, die wichtige Grundnahrungsmittel der brasilianischen Bevölkerung darstellen, zu 70 bzw. 84 % von Kleinbauern produziert[2].

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) widmete der Bedeutung von Landreformen für die ländliche Entwicklung und die Bekämpfung des Welthungers 2006 eine Konferenz im brasilianischen Porto Alegre.

Parteitaktische Motive

Ein Motiv für eine Landreform kann auch das Bestreben einer Regierung sein, in der begünstigten Bevölkerungsschicht treue Anhänger zu gewinnen. Werden bei einer Landreform gezielt Parteigänger – z. B. Bürgerkriegsveteranen – begünstigt, so ist das ein fließender Übergang zwischen einer echten Landreform und den Praktiken mittelalterlicher Lehnsherren.

Motive und Argumente der Gegner von Landreformen

Die Gegner – namentlich die Landbesitzer, welche ihr Land im Zuge einer Landreform verlieren – machen geltend, dass eine Landreform den Diebstahl von aus ihrer Sicht legitimem Besitz darstelle. Vertreter wirtschaftsliberaler politischer Anschauungen, die grundsätzlich skeptisch gegenüber staatlichen Eingriffen in Markt und Wirtschaft sind, lehnen Landreformen tendenziell ab. So sprach etwa die FDP in Zusammenhang mit der Bodenreform im Deutschland der Nachkriegszeit von einer „Diskriminierung eines ganzen Berufsstandes“ und „willkürlicher Zerschlagung und Enteignung“.[3]

Entwicklungsökonomen weisen zudem auf die negativen Folgen fehlender Rechtssicherheit für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes hin: „Die Rechtssicherheit von Privateigentum spielt [...] eine zentrale Rolle, da nur Menschen, die solch eine Sicherheit haben, bereit sind, zu investieren und die Produktivität zu erhöhen. Ein Geschäftsmann, der damit rechnen muss, dass sein Gewinn gestohlen, enteignet oder weggesteuert wird, verspürt wenig Motivation, zu arbeiten, geschweige denn, Investitionen zu tätigen und Neuerungen durchzuführen“.[4]

Gegner von Landreformen verweisen auf die betriebswirtschaftlichen Vorteile einer großflächigen Landbewirtschaftung, insbesondere die durch Skaleneffekte effizientere und produktivere Wirtschaftsweise als sie beim Anbau auf kleineren Landstücken verwirklicht werden kann. Sie verweisen ferner auf negative Folgen von Landreformen in der Geschichte.

Geschichte

Historisch spielte die Frage der Landreform mehrmals eine bedeutende Rolle. Im 2. Jahrhundert v. Chr. im alten Rom versuchten die Brüder Tiberius und Gaius Gracchus erfolglos, im Rahmen der Gracchischen Reformen eine Landreform durchzusetzen. Damit lösten sie ein Jahrhundert der Römischen Bürgerkriege und die Spaltung der römischen Politik in Popularen (ursprünglich Befürworter von Landumverteilungen zugunsten der Proletarier) und Optimaten (Verteidiger der Interessen von Latifundienbesitzern) aus.

Auch in den diversen Bauernkriegen in Europa gehörten u. a. Landreformen und ähnliche Belange zu den Zielen der Aufständischen. Landreformen bzw. Forderungen danach waren Bestandteil verschiedener sozialistisch bis kommunistisch ausgerichteter Revolutionen auf der ganzen Welt sowie vieler Dekolonisationskämpfe in Entwicklungsländern[5].

Landreformbewegung heute: Kinder und Jugendliche der brasilianischen Landlosenbewegung MST

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielten Bauernparteien insbesondere in Mittel- und in Osteuropa eine wichtige Rolle bei der Artikulation und Durchsetzung bäuerlicher Interessen. Nach 1945 kam es in mehreren ostasiatischen Ländern zu Landreformen, die als einer der Gründe für deren darauffolgenden wirtschaftlichen Aufstieg angesehen werden. Heute existieren Landreformbewegungen hauptsächlich in Entwicklungsländern, insbesondere in Lateinamerika. Sie bilden teilweise Synergien mit der Dritte Welt-Bewegung in Industrieländern und der Globalisierungskritik. Auf weltweiter Ebene setzt sich das Kleinbauernnetzwerk Via Campesina für Landreformen ein.

Hauptartikel: Bodenreformbewegung

Formen der Landreform

Landreformen können auf unterschiedliche Weise durchgeführt werden. Das Spektrum reicht von der „Marktgestützen Landreform“ (siehe unten) über staatliche Subventionen oder Darlehen für Bauern und Landarbeiter, die das von ihnen bearbeitete Land kaufen möchten, bis hin zu Erwerb und Verteilung des Landes durch den Staat selbst. In den einen Fällen kauft der Staat hierbei das Land von Großgrundbesitzern, welche es freiwillig verkaufen („willing seller – willing buyer“), in anderen Fällen greift er zum Mittel der Enteignung, welche vollumfänglich, teilweise oder auch nicht entschädigt werden kann und bisweilen mit Gewalt geschieht. Manchmal wird im Rahmen einer Landreform privates Land verstaatlicht, in anderen Fällen wiederum Staatsland in den Privatbesitz von Kleinbauern überführt. Privatbesitz kann zum Gemeinschaftsbesitz umgewandelt werden (Kollektivierung) oder auch Gemeinschaftsbesitz unter den Mitgliedern der Gemeinschaft aufgeteilt werden.

Marktgestützte Landreform

Die Marktgestützte Landreform (market-based agrarian reform) ist eine Variante der Landreform, die von der Weltbank gefördert wird. Hierbei muss der Kleinbauer, der provisorisch Land erhalten hat, dieses dem vorherigen Besitzer zum vollen Marktpreis abkaufen. Vermag er dies nicht, verliert er das Land wieder. Verteilt wird ausschließlich Land, das von den Besitzern freiwillig auf den Markt geworfen wurde. Dieses Modell wurde in den 1990er Jahren in Brasilien, Kolumbien und Südafrika angewendet, wobei die Resultate als bescheiden bewertet wurden.

Organisationen wie Via Campesina und FIAN kritisieren die Marktgestützte Landreform als ineffektiv, da sie sich nicht ausreichend auf die Bedürfnisse der ärmsten Bauern ausrichte und zudem vorwiegend Land von minderer Qualität von kleinen und mittleren Betrieben auf dem Markt angeboten werde, während Großgrundbesitzer ihre Ländereien von besserer Qualität kaum freiwillig anböten.[6]

Freiwirtschaftliche Bodenreformbewegung