Distanzunterricht in Deutschland

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Distanzunterricht ist eine Form des Schulunterrichtes, die sich in Deutschland juristisch aus der Beschulungspflicht des Staates sowie dem Recht von Kindern auf schulische Bildung[1] und damit zur Aufrechterhaltung des Unterrichts z. B. bei Auftreten einer Pandemie ergibt. Distanzunterricht kann aber auch dann angeordnet werden, wenn der Präsenzunterricht witterungsbedingt ausfällt.[2] Einen plötzlichen Ausfall des Präsenzunterrichts kann es auch wegen Schäden am oder im Schulgebäude geben, z. B. bei einem Ausfall der Heizungsanlage in der kalten Jahreszeit. Der Begriff Distanzunterricht wird in Deutschland seit der COVID-19-Pandemie 2020 durch die Bildungsministerien der Bundesländer verwendet, zur Abgrenzung gegen Hausunterricht (= traditionelle deutsche Übersetzung des Begriffs "homeschooling") und Fernunterricht.

Allgemeines

Die Beschulungspflicht umfasst den Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates. Der Distanzunterricht ersetzt damit zeitweilig, teilweise abrupt, den Präsenzunterricht, in den er wiederum (ebenfalls oft abrupt) zurückgeführt werden kann.[3] Die Lernprozesse sind bewusst so zu gestalten, dass sie didaktisch und methodisch nicht von der Präsenz im Klassenzimmer abhängig sind.

Wechselunterricht besteht aus (idealerweise nicht kurzfristig angeordneten) Wechseln zwischen Präsenz- und Distanzphasen. Der Distanzunterricht unterliegt nicht den Regelungen des Fernunterrichtsschutzgesetzes. Zur genauen Formulierung bzw. Abgrenzung verwenden die Bildungsministerien der Bundesländer daher den Begriff Distanzunterricht. Umgangssprachlich wird jedoch auch Fernunterricht als Synonym für den Distanzunterricht verwendet.

Schulpflicht und Recht auf Bildung bei Distanzunterricht

Der angeordnete Distanzunterricht dient dazu, die Beschulungspflicht zu erfüllen (als Pflicht des Staates, kontinuierlich gesetzkonformen Unterricht zu organisieren), er bildet damit die Grundlage der Einforderung der Schulpflicht während seiner Durchführung. Die Teilnahme am Distanzunterricht ist für Schüler ebenso verbindlich wie beim Präsenzunterricht. Es ist Pflicht der Schulen und der betroffenen Lehrkräfte, auch im Distanzunterricht die Nicht-Anwesenheit bzw. Nicht-Erreichbarkeit einzelner Schüler festzustellen und den Gründen für das Fernbleiben vom Unterricht nachzugehen.

Die Bezirksregierung Münster nennt als unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass die Anwesenheit jedes einzelnen Schülers einer Lerngruppe jederzeit festgestellt werden kann, dass „[d]ie Lehrerinnen und Lehrer […] die Ausstattung der Elternhäuser mit Endgeräten und WLAN“ kennen und die Schule mangelhaft ausgestatteten Haushalten ggf. Endgeräte zur Verfügung stellt.[4] Außerdem seien Lehrkräfte verpflichtet, sich auch im Distanzunterricht Lernenden persönlich zuzuwenden und sie zu beraten.[5]

Das vom Bundesverfassungsgericht im November 2021 festgestellte „Recht auf gleichen Zugang zu staatlichen Bildungsangeboten im Rahmen des vorhandenen Schulsystems“[6] wird garantiert, wenn staatlich organisierter Unterricht außerhalb von Schulferienzeiten kontinuierlich bereitgestellt wird. In Fällen, in denen Präsenzunterricht nicht erteilt werden kann, müssen sich Länder darum bemühen, dass an allen Schulen Distanzunterricht erteilt werden kann.[7]

Das Bundesverfassungsgericht bewertet den ungeplanten Wegfall von Präsenzunterricht im Prinzip als Übel:

Die Lern- und Kompetenzverluste nehmen mit jedem Wegfall von Präsenzunterricht zu und verstärken sich. Jede weitere Schulschließung verschlechtert nochmals die Möglichkeiten zur Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit der betroffenen Schüler; die Intensität der Beeinträchtigung wächst daher mit jedem Eingriff. Das gilt auch für den Erwerb sozialer Kompetenzen. Je länger die Schulschließungen andauern, desto mehr geht die für die Persönlichkeitsentwicklung wichtige Gruppenfähigkeit verloren. Denn es entfällt ein Raum, in dem die Kinder und Jugendlichen die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte in Interaktion mit anderen einüben können. Dies gilt umso mehr, als infolge der zur Bekämpfung der Pandemie ergriffenen Maßnahmen für die Betroffenen auch andere Räume der Begegnung nur eingeschränkt oder gar nicht zur Verfügung standen. Dies konnten auch digitale Räume so nicht ersetzen.
Ausgehend davon beeinträchtigt das Verbot von Präsenzunterricht das Recht auf schulische Bildung der Schülerinnen und Schüler nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG schwerwiegend.[8]

Der entfallene Präsenzunterricht habe, so das Bundesverfassungsgericht, 2020 und 2021 zu Lernrückständen, negativen Effekten auf die fachspezifische Kompetenzentwicklung sowie Defiziten in der Persönlichkeitsentwicklung geführt, da der Ersatzunterricht unzureichend organisiert und durchgeführt worden sei. „Der entfallene Präsenzunterricht führte zu einer Reduzierung des Unterrichts auf die Kernfächer, dem Verlernen von Arbeitshaltung und -organisation sowie zum Verlust der Fähigkeit, Schulstress bewältigen zu können.“[9]

Im Prinzip sei, so das Gericht, Distanzunterricht zwar ein „unbedenkliches Mittel, um die Intensität des Eingriffs in das Recht auf schulische Bildung durch den Wegfall von Präsenzunterricht erheblich abzumildern“, aber er könne „den Präsenzunterricht nur begrenzt ersetzen.“ Insbesondere die Grundschüler seien „darauf angewiesen, dass Präsenzunterricht stattfindet, weil grundlegende Kompetenzen wie Lesen und Schreiben nur im Rahmen direkter Interaktion mit den Lehrern erfolgreich vermittelt werden können.“ Auch im Distanzunterricht könnten jedoch (älteren Schülern) „[b]ei guter digitaler Ausstattung von Schülern und Lehrkräften und angepassten pädagogischen Konzepten […] Fertigkeiten und Wissen […] erfolgreich vermittelt werden.“[10]

Das Bundesverfassungsgericht ermahnt Bund und Länder, „naheliegende Vorkehrungen wie insbesondere eine weitere Digitalisierung des Schulbetriebs“ zu ergreifen, „um künftige Beschränkungen des Präsenzunterrichts grundrechtsschonender ausgestalten zu können.“[11]

Die referierten Ausführungen des Gerichts beziehen sich nicht auf einen Distanzunterricht, der mittel- bis langfristig geplant ist und Bestandteil eines didaktisch-methodischen Konzepts der betreffenden Schule ist.

Konzeptionen und Varianten des Distanzunterrichts