Mobile Raketenbasis

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Start der TEXUS-50-Höhenforschungsrakete vom Raketenstartplatz Esrange, Kiruna

Die Mobile Raketenbasis (MORABA) ist eine Abteilung des DLR Raumflugbetrieb und Astronautentraining in Oberpfaffenhofen bei München. Seit den 1960er Jahren führt die MORABA wissenschaftliche Höhenforschungsmissionen mit unbemannten Raketen und Ballonen durch und entwickelt die dafür notwendigen mechanischen und elektrischen Systeme. Ihre Einsatzgebiete sind unter anderem Hochatmosphärenforschung, Mikrogravitationsforschung, Astronomie, Geophysik, Materialwissenschaften, sowie Hyperschallforschung.

Unter dem Namen EuroLaunch bietet MORABA in Kooperation mit SSC Esrange internationale Startdienste für Höhenforschungsballone und -raketen an. Seit 1971 besteht außerdem eine Kooperation mit dem brasilianischen Instituto de Aeronáutica e Espaço (IAE) des Departamento de Ciência e Tecnologia Aeroespacial (DCTA).

Einrichtungen der MORABA

Mobile Infrastruktur

Zur mobilen Infrastruktur gehören die mobilen Bodenstationen und Antennenanlagen für Telemetrie (Empfang der Messdaten) und Telekommando (Senden von Steuerbefehlen), sowie Bahnverfolgungs-Radar-Stationen („Range Instrumentation Radar“) zur genauen Flugbahn-Vermessung. Dazu gehören auch Unterstützungssysteme am Boden für Kommunikation, Stromversorgung etc. Die Hauptaufgaben sind das Verfolgen der Flugbahn der Forschungsraketen oder Höhenforschungsballone, Hochfrequenz-Datenempfang, Datenaufbereitung, -verteilung und -archivierung. Transport, Aufbau und Wartung der mobilen Stationen, sowie Missionsvorbereitung sind ebenfalls Teil der Aufgaben.

Elektrische Flugsysteme

Die Gruppe der elektrischen Flugsysteme entwickelt, baut und qualifiziert die an Bord der Raketen und Ballone notwendigen elektrischen und elektronischen Systeme. Dazu gehören Onboard-Computersysteme, Regelungs- und Messtechnik, Datenaufbereitungs- und Telemetrie-Komponenten, sowie Hochfrequenz-Übertragungstechnik. Auch der Aufbau von Bodensystemen wie dem EGSE (Electrical Ground Support Equipment) gehört zum Aufgabenbereich.

Mechanische Flugsysteme

In der Arbeitsgruppe Mechanische Flugsysteme werden die Strukturberechnungen, aerodynamische und thermische Analysen vorgenommen, sowie Konfiguration und Aufbau der Nutzlast und des gesamten Vehikels geplant und durchgeführt. Ebenso die Integration der wissenschaftlichen Experimente und das Balancing der fertigen Nutzlast. In der Gruppe werden die Separationssysteme, Zündsysteme, Nutzlast-Bergungssysteme, Nutzlast-Lage-Kontrollsysteme und Fluglage-Stabilisierungssysteme entwickelt.

Startdienste

Zu den Aufgaben der Gruppe Startdienste gehören unter anderem Inspektion, Umbau und Verwahrung der Raketenmotoren und Pyrotechniken, Aufbau der mobilen Startrampen, Zusammenbau der Raketenstufen und Zündsysteme, Zusammenfügen der Nutzlast und der Raketenmotoren, sowie das Laden der Rakete in die Startrampe. Des Weiteren die Unterstützung von Flight Safety, Berechnung der Trajektorien, aerodynamische Berechnungen, und Auswahl der Raketenkonfiguration.

Von der MORABA entwickelte mechanische und elektronische Flugsysteme

  • Raketenleitwerke und Substrukturen
  • Systeme zur Trennung der Raketenstufen
  • De-Spin-Systeme zur Minimierung der Raketen-Rotation für die Experimentphase
  • Fallschirm-Bergungssysteme
  • Integrierte Hochfrequenzsysteme für Raketen und Ballone
  • TV-Multikanal-Übertragungssysteme
  • Bordsysteme zur Lage- und Drehratenkontrolle
  • Zündeinheiten zur präzisen und sicheren Zündung der Raketenmotoren
  • Mobile elektrische und mechanische Bodensysteme, wie Bodenstationen und Startrampen
  • Telemetrie- und Telekommandosysteme

Geschichte

Die Mobile Raketenbasis ist aus der „Arbeitsgemeinschaft für Weltraumforschung“, einer gemeinsamen Gründung des Max-Planck-Instituts für Extraterrestrische Physik (MPE) und der damaligen Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt e.V. (DVL) hervorgegangen. Diese Arbeitsgemeinschaft wurde im Jahr 1965 gegründet und hatte ihren ersten Sitz in München-Schwabing.

Mit der ersten mobilen Kampagne zum Studium der Sonnenfinsternis im Mai 1966 auf der griechischen Insel Euböa im Auftrag der European Space Research Organisation (ESRO) wurde nachgewiesen, dass es möglich war, umfangreiche technische und wissenschaftliche Ausrüstung zu vorgegebener Zeit an einen schwer zugänglichen Startplatz zu bringen und dort aufzubauen.

Die Anfänge: Atmosphärenforschung

In Zusammenarbeit mit dem MPE erfolgte im Frühjahr 1967 auf Esrange (Schweden) eine Kampagne zur Erforschung des Magnetfeldes der Erde. Mit fünf Nike-Apache-Raketen wurden in ca. 100 km Höhe künstliche Bariumwolken (Nordlicht) erzeugt, welche die Magnetfeldlinien für die Aufzeichnung sichtbar machten.

Nach der Frühjahrskampagne 1967 wurde durch die steigende Zahl an Mitarbeitern ein Umzug nach Garching in das MPE notwendig. Durch den Vorstand Süd der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DFVLR) wurde am 2. April 1969 der Umzug der Mobilen Raketenbasis in das Zentrum Oberpfaffenhofen beschlossen. Hier hat sie noch heute ihren Sitz in der Einrichtung „Raumflugbetrieb und Astronautentraining“ des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Neben den Startplätzen in Skandinavien (Kiruna und Andenes) wurden auch Sardinien, Wallops Island und Matagorda Island (USA), Grönland, Trivandrum (Indien), Woomera (Australien), Huelva (Spanien) und Natal (Brasilien) für die Starts von Nutzlasten der verschiedensten wissenschaftlichen Gebiete frequentiert. Mit der mittlerweile vorhandenen Infrastruktur war es möglich, gleichzeitig mehrere Kampagnen an verschiedenen Startplätzen durchzuführen. Den Höhepunkt der damaligen Raketenkampagnen erreichte man 1984 mit der Map-Wine-Kampagne unter der wissenschaftlichen Leitung der Universität Wuppertal. Während dieser Mission wurden gleichzeitig koordinierte Starts von Andenes, Esrange, Lista (Südnorwegen) und Kagoshima (Japan) von der Mobilen Raketenbasis durchgeführt. In den folgenden Jahren konzentrierte sich der Einsatz von Höhenforschungsraketen hauptsächlich auf das Gebiet der Atmosphärenforschung und die Ursachen der globalen Erwärmung.

Neue Einsatzgebiete: Mikrogravitationsforschung

Mit dem Start der von Dornier Friedrichshafen gefertigten „HEATPIPE“-Nutzlast zur Erforschung der Einflüsse stark verminderter Erdschwere, entstand ein neues Einsatzgebiet für Höhenforschungsraketen. Der Start erfolgte am 22. Januar 1976 von Esrange, mit dem Ziel, in der Schwerelosigkeit die Funktion von Wärmerohren und Latentwärmespeichern für den Einsatz in zukünftigen Satellitenprojekten zu untersuchen.

Zunächst als Zusatz- und Begleitprogramm für die deutschen Spacelab-Missionen gedacht, erfolgte am 13. Dezember 1977 der erste Start einer TEXUS-Nutzlast (Technologische EXperimente Unter Schwerelosigkeit) mit der zweistufigen Skylark-Rakete von Esrange aus. In den nachfolgenden Jahren wurden jährlich bis zu vier TEXUS-Missionen (6 Minuten Mikrogravitation) mit einer Vielzahl von Experimenten geflogen. Um die ständig steigende Zahl von Experimenten mit den unterschiedlichsten Anforderungen und Zielsetzungen bedienen zu können, wurden das schwedische MASER-Programm, das MAXUS-Programm (13 Minuten Mikrogravitationszeit), und das MiniTEXUS-Programm (3 Minuten Mikrogravitationszeit) unter der Federführung der European Space Agency (ESA) ins Leben gerufen.

Weitere Aufgaben: Start von Höhenforschungsballonen

Bereits im Mai 1975 war die Mobile Raketenbasis bei dem Ballonflug des 2,5 Tonnen schweren „Spectro-Stratoscope“-Instruments[1] in Palestine (Texas) mit der Aufbereitung der PCM-Daten der Nutzlast in die Arbeit mit Höhenforschungsballonen eingebunden. In den folgenden Jahren wurde die zügig aufgebaute Balloninfrastruktur bei vielen Flügen von dem Dornier Flugplatz in Oberpfaffenhofen, sowie auch von dem in der Nähe von Ulm gelegenen Flugplatz Leipheim aus eingesetzt. Mit dem Max-Planck-Institut für Aeronomie in Lindau wurden internationale Ballonflüge in Aire-sur-l’Adour (Frankreich), Mendoza (Argentinien) und Hyderabad (Indien) durchgeführt, um die chemische Zusammensetzung (und Verunreinigung) der Atmosphäre in den verschiedenen Höhen und geographischen Breiten zu erforschen.

Da die Flugmöglichkeiten von Oberpfaffenhofen aus wegen des stark zunehmenden Flugverkehrs immer mehr eingeschränkt wurden, erfolgten die letzten Starts von großen Höhenforschungsballonen (ca. 600.000 Kubikmeter) im Rahmen der Erprobung des MIKROBA-Fallkörpers in den Jahren 1988 bis 1992 auf Esrange, Kiruna.

Technologietransfer: von Raketentechnik zu Satelliten

In den Anfangsjahren der deutschen Höhenforschung mit Raketen wurden die Nutzlasten von Ingenieuren und Technikern bei den Firmen Dornier, MBB, Kayser-Threde und ERNO entworfen und gebaut. Parallel zum Rückzug von Dornier und MBB aus dem Nutzlastbau für Höhenforschungsraketen, wurden bei der MORABA – zusätzlich zu den bereits vorhandenen Drehraten- und Lageregelungsmodulen und Fallschirmbergungssystemen – mechanische und elektrische Flugsysteme entwickelt und erprobt, die auf dem kommerziellen Markt nur schwer oder gar nicht zu erhalten waren. Der erste und erfolgreiche Einsatz eines für Höhenforschungsraketen qualifizierten Datenerfassungs- und Sende-/Empfangssystems war das Wiedereintrittsexperiment „EXPRESS“. Im Spätherbst 1994 wurde dafür mitten in der südaustralischen Wüste eine komplette Sende- und Empfangsstation mit allen notwendigen Funktionen von der MORABA aufgebaut und über den Jahreswechsel betrieben. Nach dem Start mit einer japanischen Satellitenträgerrakete und einer siebentägigen Erdumrundung war die Landung der EXPRESS-Kapsel in der Nähe des Ortes Coober Pedy (Australien) geplant. Bedingt durch eine Fehlfunktion der Trägerrakete wurde die Kapsel jedoch auf eine elliptische Umlaufbahn mit sehr niedriger Perigäumshöhe befördert und landete nach nur wenigen Erdumläufen in Afrika.

Weitere Einsätze von Entwicklungen der MORABA bei Raumflugmissionen waren Experimente auf der russischen Raumstation MIR und der DLR-Satellit BIRD.

Neueste Entwicklung: Hyperschallforschung – der fliegende Windkanal

Ähnlich wie die zunächst neue Nutzung der Raketenplattform für Mikrogravitationsforschung, nimmt der Einsatz von Höhenforschungsraketen als fliegender Windkanal immer weiter zu. Mit ihrer Hilfe können große Modelle auf Geschwindigkeiten von über Mach 12 gebracht und Messzeiten von bis zu einer Minute erzielt werden. Für das DLR-Experiment SHEFEX (Sharp Edge Flight Experiment) wurden die Nutzlastsubsysteme und das Raketensystem von der MORABA entworfen und gebaut. Mit dem Start im Oktober 2005 von Andenes (Norwegen) aus wurde das Projekt erfolgreich abgeschlossen. Weitere Experimente dieser Art waren das ebenfalls erfolgreich abgeschlossene Nachfolgeprojekt SHEFEX II (gestartet im Juni 2012), sowie HiFIRE und Scramspace zur Entwicklung eines Scramjet-Triebwerks.

Von der MORABA durchgeführte oder unterstützte Missionen

SHEFEX-II-Forschungsrakete in der Startrampe auf der Andøya Rocket Range
Vorbereitung eines VSB-30-Raketenmotors für den Start der TEXUS 50 Forschungsrakete
Startfertige TEXUS-50-Rakete im Skylark Launch-Tower auf Esrange, Kiruna

Aktuelle Projekte der MORABA

  • TEXUS (Technologische EXperimente Unter Schwerelosigkeit)
  • REXUS: Höhenforschungsraketen-Experimente für Universitätsstudenten
  • BEXUS: Stratosphärenballon-Experimente für Universitätsstudenten
  • STERN (STudentische Experimental-RaketeN): Förderprogramm für Studenten zur Entwicklung eigener Raketenantriebe
  • MAPHEUS (MAterialPHysikalische Experimente Unter Schwerelosigkeit)
  • WADIS (WellenAusbreitung und DISsipation in der Mittleren Atmosphäre): Forschungsprojekt des Leibniz-Instituts für Atmosphärenphysik in Kühlungsborn und des Instituts für Raumfahrtsysteme (IRS) der Universität Stuttgart
  • SHEFEX (SHarp Edge Flight Experiment): Programm des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR)
  • MASER: Höhenforschungsraketen-Programm für Mikrogravitationsforschung der Swedish Space Corporation (SSC)
  • MAXUS: Joint Venture zwischen Astrium und der Swedish Space Corporation (SSC) zu Materialuntersuchungen unter Mikrogravitation
  • HIFiRE: Australisches Programm zur Entwicklung eines Überschall-Staustrahltriebwerkes (Scramjet)
  • MAIUS: Erforschung von auf Bose-Einstein-Kondensaten basierender Atominterferometrie unter Schwerelosigkeit
  • ROTEX (ROcket Technology EXperiment): Studentische Flugexperimente des Aerodynamischen Instituts der RWTH Aachen
  • Corsair (ehemals CSSR: Comet Surface Sample Return): Kooperation mit der NASA. Das Ziel ist eine Probe von der Oberfläche eines Kometennukleus zu entnehmen und zur Erde zu transportieren.

Ausgewählte Missionen

Mission Startdatum Startplatz Besonderheit / Anmerkung
Conestoga I 9. September 1982 Matagorda Island (USA) Start der ersten, privat finanzierten Rakete, die den Weltraum erreichte.[2]
Supernova 24. August 1987 Woomera (Australien) Projekt des MPE zur Untersuchung der Röntgenstrahlung der Supernova 1987A.
SpaceMail 6. Februar 2000 Alcantara (Brasilien) PR-Aktion der Deutschen Post AG.[3][4]
SHEFEX 27. Oktober 2005 Andøya (Norwegen) Neuartiger Hyperschall-Flugkörper, entwickelt vom DLR.
REXUS 3 5. April 2006 Esrange (Schweden) Flugversuch REGINA des Entfaltungssystems der Raumsonde Archimedes, einem Projekt der Mars Society Deutschland.
TEXUS 45 21. Februar 2008 Esrange (Schweden) Unter anderem Erforschung von Bewegungskrankheiten anhand von Buntbarschen in der Schwerelosigkeit[5][6]
SHEFEX II 22. Juni 2012 Andøya (Norwegen) Weiterentwicklung des SHEFEX-Flugkörpers. Dabei wurde die zweite Stufe der Trägerrakete vor Zündung mit einem Kaltgas-System neu ausgerichtet

Liste von Raketen- und Ballon-Missionen