Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996/Neuerungen

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Dieser Artikel benennt die wichtigsten Neuerungen der Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 einschließlich der seither erfolgten Aktualisierungen. Die darum geführte Debatte wird im Artikel zur Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996/Pro und Kontra behandelt.

Einleitung

Im Rahmen der Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 wurden die gültigen Rechtschreibregeln in großem Umfang überarbeitet. Die seit 1996 gültige neue Rechtschreibung wurde sowohl 2004 als auch 2006 nachgeändert, was in neuen Regelwerken resultierte. Zusätzlich gab es 2011 als auch 2017 Aktualisierungen dieses Regelwerkes sowie 2018 eine redaktionelle Anpassung des Vorwortes. Somit entsprechen die aktuell gültigen Rechtschreibregeln dem Regelwerk von 2006 in der Fassung von 2018.[1]

In Literatur und öffentlicher Diskussion wird weitgehend die Bezeichnung neue (deutsche) Rechtschreibung verwendet, mitunter „reformierte Rechtschreibung“ oder „Reformschreibung“.

Die bis 1996 gültige Regelung wird im nachfolgenden Text auch „traditionelle (deutsche) Rechtschreibung“ genannt.

Änderungen der Reform von 1996 gegenüber der traditionellen Rechtschreibung

Die Reform betraf die folgenden Bereiche, für die hier nur jeweils einzelne Beispiele genannt werden sollen.[2]

Themenbereich traditionelle Schreibung reformierte Schreibung
Laut-Buchstaben-Zuordnung: e / ä Stengel Stängel
Laut-Buchstaben-Zuordnung: ß / ss Kuß Kuss
Laut-Buchstaben-Zuordnung: Dreifachkonsonanten Ballettänzer Balletttänzer oder Ballett-Tänzer[3]
Laut-Buchstaben-Zuordnung: Fremdwörter Orthographie Orthographie oder Orthografie
Getrennt- und Zusammenschreibung: Verben radfahren Rad fahren
Getrennt- und Zusammenschreibung: Adverbien wieviel wie viel
Schreibung mit Bindestrich 3tonner 3-Tonner
Groß- und Kleinschreibung: Substantive in bezug auf in Bezug auf
Groß- und Kleinschreibung: Adjektive auf deutsch auf Deutsch
Zeichensetzung: Durch und eingeleitete Hauptsätze Der Schnee schmolz dahin, und bald ließen sich die ersten Blumen sehen, und die Vögel stimmten ihr Lied an. Der Schnee schmolz dahin und bald ließen sich die ersten Blumen sehen und die Vögel stimmten ihr Lied an.
Worttrennung am Zeilenende Zuk-ker Zu-cker

Einige neu eingeführte Schreibweisen sind durch nachfolgende Reformen der Reform wieder für ungültig erklärt worden, in anderen Fällen wurde der Gebrauch der traditionellen neben der reformierten Rechtschreibung freigestellt. Zur Begründung der Änderungen und ihrer Regelhaftigkeit sowie für weitere Beispiele siehe die Ausführungen unten zur Fassung von 2006.

Änderungen nach 1996

Im Jahre 2004 wurden einige Regeln modifiziert und weitere Schreibweisen als Varianten zugelassen. Im Jahre 2006 kam es zu umfangreicheren Änderungen am Regelwerk. Hierbei wurden auch erstmals weitere Schreibweisen für ungültig erklärt. Letztere sind heute in Schule und Behördenverkehr ebenso überholt wie diejenigen, die schon seit 1996 nicht mehr gelten.

Änderungen der Rechtschreibung im Jahr 2004 gegenüber 1996

Durch die Neufassung der amtlichen Regelung im Jahre 2004 wurde noch keine der 1996 neu eingeführten Schreibweisen widerrufen, es wurden ihnen jedoch weitere Varianten hinzugefügt.

  • Zusätzlich zu Leid tun wurde als neue Variante leidtun eingeführt.
  • Bei festen Verbindungen aus Präposition und dekliniertem Adjektiv ohne vorangehenden Artikel wurde zusätzlich zur Kleinschreibung auch die Großschreibung zugelassen: von neuem/Neuem, bei weitem/Weitem, bis auf weiteres/Weiteres, seit längerem/Längerem, binnen kurzem/Kurzem.
  • Bei bestimmten Verbindungen mit Partizip wurden auch die zusammengeschriebenen Positivformen wieder zugelassen: z. B. neben Zeit sparend auch wieder zeitsparend (entsprechend zum Komparativ zeitsparender und zum Superlativ am zeitsparendsten).

Änderungen der Rechtschreibung im Jahr 2006 gegenüber 2004

Am 2. März 2006 hat die Kultusministerkonferenz (KMK) die vom Rat für deutsche Rechtschreibung vorgeschlagenen Änderungen übernommen, die seit dem 1. August 2006 gelten und mit dem 1. August 2007 verbindlich wurden. Dem Schreiber ist jetzt noch mehr als bisher freigestellt, sich für die eine oder andere Schreibweise zu entscheiden. Einige Änderungen sind jedoch verbindlich, das heißt, ältere Reformvarianten gelten als falsch.[4]

Getrennt- und Zusammenschreibung

Verben
  • Verbpartikeln, die unfeste Zusammensetzungen bilden, sind nicht mehr nur die Präpositionen und eine eng vorgeschriebene Anzahl von Adverbien, sondern praktisch alle Adverbien, soweit sie den Hauptton tragen (Bsp.: beisammenbleiben). Trägt das Verb die Betonung, schreibt man auseinander: zusammen tanzen, nacheinander gehen, voneinander lernen …
  • Verb + Verb: Bei Verbindungen aus zwei Verben mit bleiben und lassen als zweitem Bestandteil ist bei übertragener Bedeutung gemäß § 34 E7 wieder Zusammenschreibung möglich, z. B. liegenbleiben, sitzenbleiben, stehenlassen; dasselbe gilt für kennenlernen.
  • Substantiv + Verb: Zusammenschreibung als Zusammensetzung oder Getrenntschreibung als Wortgruppe ist jetzt außer bei danksagen / Dank sagen und gewährleisten / Gewähr leisten auch möglich bei achtgeben / Acht geben, achthaben / Acht haben, haltmachen / Halt machen, maßhalten / Maß halten sowie in Fällen wie marathonlaufen / Marathon laufen, staubsaugen / Staub saugen.
  • verblasstes Substantiv + Verb: Die Verben eislaufen, kopfstehen und nottun werden nur noch als Zusammensetzungen behandelt (hier ist auch die Groß- und Kleinschreibung betroffen): Seefahrt tut not …
  • Adjektiv + Verb: Das Verb leidtun wird nur noch als Zusammensetzungen behandelt (hier ist auch die Groß- und Kleinschreibung betroffen): Es tut mir leid
  • Adjektiv + Verb: Stellt ein einfaches Adjektiv das Ergebnis des Vorgangs dar, kann getrennt oder zusammengeschrieben werden: fern bleiben / fernbleiben, näher kommen / näherkommen, voll laden / vollladen, warm halten / warmhalten …; bei neuer Bedeutung muss zusammengeschrieben werden: kurzarbeiten, richtigstellen, schwerfallen … An die Stelle der Regelungen mit steigerbarem Adjektiv oder Adjektiven mit den Suffixen -ig, -isch, -lich ist die Formulierung „Verbindungen mit morphologisch komplexen oder erweiterten Adjektiven“ getreten.
Adjektive
  • unflektiertes Adjektiv + Adjektiv: Bei abstufender Bedeutung des 1. Adjektivs ist Getrennt- oder Zusammenschreibung möglich: früh reif/frühreif, leicht verdaulich/leichtverdaulich, schwer erziehbar/schwererziehbar …
  • adjektivisch gebrauchte Partizipien: Getrennt- oder Zusammenschreibung ist wie seit 2004 möglich: allgemein bildend/allgemeinbildend, Hilfe suchend/hilfesuchend; klein kariert/kleinkariert, selbst vermarktend/selbstvermarktend …

Groß- und Kleinschreibung

Desubstantivierungen
  • verblasste Substantive + sein/bleiben/werden: Zu angst, bange … sind neu feind, freund, klasse, spitze und unrecht getreten: Ich bin ihm feind. – Das bleibt unrecht. …
  • recht/Recht und unrecht/Unrecht + behalten, bekommen, geben, haben, tun: Groß- wie Kleinschreibung ist gestattet: Ich habe völlig recht/Recht, Wir geben dir recht/Recht. Du tust mir unrecht/Unrecht. …
  • Präposition + dekliniertes Adjektiv (ohne Artikel): Hier sind wie seit 2004 beide Schreibweisen korrekt: bis auf weiteres/Weiteres, seit kurzem/Kurzem …
  • Präposition + undekliniertes Adjektiv (ohne Artikel): wie bisher Kleinschreibung, jetzt auch wieder bei zu eigen machen
  • Adjektiv + Substantiv in fester Verbindung, (die keine Eigennamen sind): Generell gilt Kleinschreibung: das autogene Training, das neue Jahr (auch: das Neue Jahr), die grüne Witwe …
    Bei übertragener Bedeutung ist auch Großschreibung gestattet: der Blaue Brief, das Schwarze Brett – aber nur zur besonderen Hervorhebung.
    Lediglich Fachsprachen können andere Festlegungen treffen, etwa die Rote Karte, der Goldene Schnitt, die Kleine Anfrage, die Erste Hilfe.
Uneinheitliche Groß- und Kleinschreibung von Pronomen der 2. Person Plural
Anredepronomen

Die Forderung der Reform von 1996, die zur Anrede verwendeten Pronomen der zweiten Person generell nur noch kleinzuschreiben, wurde 2006 insofern zurückgenommen, als Pronomina, die auch grammatisch 2. Person sind, also du, ihr und ihre Ableitungen, jetzt in Briefen wahlweise groß- oder kleingeschrieben werden dürfen.

Worttrennung

  • Einzelne Vokalbuchstaben am Wortanfang oder vor oder hinter der Wortfuge bei Zusammensetzungen (Komposita) dürfen nicht mehr abgetrennt werden, also nicht mehr a-ber, O-fen, E-cke, Sonna-bend, Ge-ografie (2006 § 107 E1).
  • An der Trennung unmittelbar hinter Präfixen wird festgehalten, also z. B. In-stanz, Kon-struktion, Pro-blem, das gilt nach § 112 (2004) bzw. § 113 (2006) aber nur, wenn das Präfix als solches erkannt und empfunden wird. Vor allem bei Fremdwörtern ergeben sich daraus neue Trennmöglichkeiten (Ins-tanz, Kons-truktion, Prob-lem), die die Wörterbuchverlage recht unterschiedlich handhaben.

Zeichensetzung

Änderungen bei der Reihung von Sätzen mit und, oder etc.
  • Nebensätze gleichen Grades dürfen nicht mehr durch ein Komma getrennt werden (§ 72): Ich gehe davon aus, dass er Besorgungen macht und dass er bald zurückkommt. – Er hat nichts gesagt, weder dass er zahlungsunfähig ist noch dass er Hilfe braucht. …
  • Gleiches gilt für die Reihung von Hauptsätzen (§ 72). Hier kann man aber ein Komma setzen, um die Gliederung zu verdeutlichen (§ 73): Sie ging aus der Tür(,) und er sah sie nie wieder. – Neben der Möglichkeit, die Satzinhalte mit Absicht weniger stark miteinander zu verbinden als ohne Komma (Sprechpause), aber auch nicht so stark zu trennen wie mit Punkt (statt Komma), kann man so vor allem Missverständnisse bei der Zuordnung von Subjekt und Prädikat vermeiden: Die Polizei verhaftete den Hauptverdächtigen(,) und seine Gattin sowie ihre drei Kinder, die sich in derselben Wohnung aufhielten, mussten dies mit ansehen.
Änderungen bei Abhängigkeit von einem Korrelat oder Verweiswort
  • Infinitiv-, Partizip-, Adjektiv- oder entsprechende andere Wortgruppen werden durch ein Komma abgegrenzt, wenn sie von einem Korrelat oder Verweiswort abhängen: Auf diese Weise, jede Adresse überprüfend, fanden wir ihn schließlich. – Nur so, verbittert und im Rollstuhl, ist mir mein Onkel in Erinnerung geblieben. – Mit dem Rucksack bepackt, so standen wir vor der Tür. …
Änderungen bei syntaktischer Sonderstellung
  • Infinitiv-, Partizip-, Adjektiv- oder entsprechende andere Wortgruppen werden durch ein Komma abgegrenzt, wenn sie als einem Substantiv oder Pronomen nachgetragene Zusätze anzusehen sind und damit aus der üblichen Satzstruktur herausfallen: Er, lauthals lachend, kam auf mich zu. Die Klasse, zum Ausflug bereit, war auf dem Schulhof versammelt. Cora, außer sich vor Freude, fiel Peter um den Hals. Er kam auf mich zu, lauthals lachend. Die Klasse war auf dem Schulhof versammelt, zum Ausflug bereit. Cora fiel Peter um den Hals, außer sich vor Freude. …
Änderungen beim Infinitiv mit zu
  • Infinitive mit um, ohne, statt, anstatt, außer, als zu müssen wieder mit Komma abgetrennt werden: Er ging hinaus, um zu rauchen. – Anstatt zu helfen, beschimpfte er seine Freunde. – Ihnen blieb nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. …
  • Infinitive, die von einem Substantiv abhängen, also attributiv gebraucht werden, müssen wieder mit Komma (ggf. paarig) abgetrennt werden: Sein Vorschlag, auf den Ausflug zu verzichten, stieß auf wenig Gegenliebe. – Bei diesem Wetter macht es keinen Spaß, spazieren zu gehen. …
  • Infinitive, die von einem Verweiswort abhängen, müssen mit Komma (ggf. paarig) abgetrennt werden: Anita zieht es vor, lange auszuschlafen. – Regina hatte nicht damit gerechnet, doch noch ans Ziel zu kommen, und strahlte über das ganze Gesicht. …
  • Bloße Infinitive, die von einem Substantiv bzw. einem Korrelat oder Verweiswort abhängen, erfordern kein Komma: Ich habe keine Lust(,) zu gehen. – Ich denke nicht daran(,) zu gehen. – Den Plan(,) abzureisen(,) hatte sie schon lange gefasst. …

Erweiterung des Geltungsbereichs

Als Varianten zu nach Hause und zu Hause waren bisher für die Schweiz und für Österreich auch nachhause und zuhause zugelassen. Seit 2006 gelten diese Varianten auch in den anderen an der Reform beteiligten Ländern.

Länderabhängige Sonderregelung

Für Österreich wurde zusätzlich zu der Schreibweise Spaß auch die Variante Spass zugelassen.

Aktualisierungen 2011 und 2017

Sowohl 2011 als auch 2017 traten sogenannte Aktualisierungen in Kraft.[5][6] Im Gegensatz zu den Neuerungen von 2004 und 2006 stellen sie keine neuen Regelwerke, sondern lediglich Überarbeitungen des amtlichen Regelwerks von 2006 dar.

In der Aktualisierung von 2011 wurden lediglich die Variantenschreibungen einiger Fremdwörter geändert; dies betraf nur 20 Eintragungen im amtlichen Wörterverzeichnis.[7] Dabei wurden vor allem Variantenschreibungen gestrichen (beispielsweise Butike für Boutique).[8]

Die Aktualisierung von 2017 war etwas umfangreicher und betraf sowohl das Regelwerk als auch das Wörterverzeichnis. Im Regelwerk wurden vor allem § 25 E3 (ß als Großbuchstabe bei der Verwendung von Versalien; damit ist nun sowohl STRASSE als auch STRAẞE zulässig) und § 63 verändert. Der Paragraph 63 wurde dabei maßgeblich überarbeitet und ersetzt nun auch den veralteten Paragraphen 64 aus der Fassung von 2011; die Änderungen beziehen sich auf die Klein- bzw. Großschreibung von Adjektiven. Nach der Aktualisierung von 2017 ist auch die Großschreibung von Adjektiven zulässig, wenn sie Bestandteil einer idiomatisierten Gesamtbedeutung sind, d. h. wenn die Verbindung als Ganzes eine neue Bedeutung bekommt (z. B. das Schwarze Brett im Sinne einer Anschlagtafel). Die Anwendung dieser Neuerung ist jedoch nicht obligatorisch, sondern dem eigenen Ermessen überlassen.[1] Die Anpassungen im Wörterverzeichnis beziehen sich auf diese Aktualisierungen.

Zusätzlich wurde das Regelwerk ein weiteres Mal im Januar 2018 aktualisiert, dabei handelte es sich jedoch nur um redaktionelle Anpassungen in Abschnitt 3 des Vorworts, die sich auf länderspezifische Variationen beziehen und keine Auswirkungen auf das Wörterbuch selbst haben.[1][9]