Intellektueller

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Als Intellektueller wird ein Mensch bezeichnet, der wissenschaftlich, künstlerisch, philosophisch, religiös, literarisch oder journalistisch tätig ist, dort ausgewiesene Kompetenzen erworben hat und in öffentlichen Auseinandersetzungen kritisch oder affirmativ Position bezieht. Dabei ist er nicht notwendigerweise an einen bestimmten politischen, ideologischen oder moralischen Standort gebunden.[1][2]

Der Bedeutungsinhalt des Begriffs Intellektueller wechselte im Laufe der historischen Entwicklung, eine allgemein anerkannte Definition des Begriffs gab es nie.[3] Wichtige Definitionsversuche unternahmen Karl Mannheim mit „freischwebender Intelligenz“ und alternativ dazu, Antonio Gramsci mit dem „organischen Intellektuellen“.

Begriffsgeschichte

Als Erster benutzte Henri de Saint-Simon in seinem Buch Du système industriel 1821 den Begriff, wobei er intellectuels und intellectuels positifs unterschied. Die ›normalen‹ Intellektuellen waren die alten Schichten, bestehend aus Adel, Klerus, Juristen und müßigen Eigentümern. Die progressiven Intellektuellen hingegen verkörperten das Neue. Sie sollten die Fähigkeit haben, gegen Vorurteile anzukämpfen und gemeinsam mit den Industriellen das alte Regime ablösen. Damit identifizierte er allerdings die naturwissenschaftlichen Experten.[4] Seine aktuelle Bedeutung jedoch erhielt der Begriff erst im Zuge der Dreyfus-Affäre.[5][6]

Der Begriff Intellektueller wurde Georges Clemenceau durch Maurice Barrès zugeschrieben. Zwar kennzeichnet Clemenceau 1898 in einem Artikel die prominenten Unterstützer von Alfred Dreyfus, darunter Émile Zola, damit als Gruppe, tatsächlich aber benutzte er den Begriff nicht als Erster und auch nicht übermäßig häufig. Es kann vielmehr vermutet werden, dass der Begriff von den nationalistischen Gegnern der Dreyfusunterstützer als Erstes in diesem Zusammenhang gebraucht und – zunächst jedenfalls – mit abwertender Konnotation für Personen verwendet wurde, die der eigenen Nation illoyal gegenüberstanden. Aber die Dreyfusards übernahmen diese Kampfvokabel, um sie im Sinne ihres politischen Selbstverständnisses als Anwälte von Gerechtigkeit und Gleichheit vor dem Gesetz umzudeuten. Nachdem der unüberwindliche Expertendissens einen Spielraum für moralisierende Intellektuellenkritik eröffnet hatte, erschien die Geburtsstunde des Intellektuellen als eine Folge der unabsichtlichen Selbstinfragestellung der Experten.[7][8]

Gramsci prägte den Begriff „organischer Intellektueller“ für Menschen, die die Ideen einer bestimmten Klasse vertreten und reartikulieren.

„Am 14. und 15. Januar 1898 wurden [in Frankreich] zwei Listen veröffentlicht, in denen Wissenschaftler, gehobene Beamte, aber vor allem Künstler und Literaten gegen die begangenen Rechtsbrüche im Fall Dreyfus protestierten. Bis zum 4. Februar 1898 kamen etwa 2000 Personen zusammen (veröffentlicht in L’Aurore und Siècle auf etwa 40 Listen), die nicht wegen ihrer Zahl, aber wegen der Qualität der Unterschriften für Aufregung sorgten. Clemenceau nahm am 23. Januar 1898 einen bereits seit den 1870er benutzten Begriff auf, den er schließlich unter ‚La Protestation des intellectuels‘ am 1. Februar 1898 in der Zeitung Le Journal veröffentlichte. Darin wird ein für die Gesellschaft negatives Bestreben jener Gruppe beklagt, eine Elite bilden zu wollen.“[9]

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Ausdruck in der NS-Propaganda ebenfalls als abwertender Kampfbegriff für Vertreter des ideologisch abgelehnten „Intellektualismus“ gebraucht, um jüdische oder politisch unerwünschte Personen zu diskreditieren und/oder anzuprangern.

Einbettung in Gesellschaften

Zola transzendierte die ursprüngliche Frage nach dem wahren Wissen, wer das Begleitschreiben verfasst habe, in Richtung eines Wertediskurses, indem er hinterfragte, welche Vorurteile im Spiel waren. Die offensichtliche Glaubwürdigkeitskrise der Experten wird somit zur Legitimationsgrundlage für eine Moralisierung durch den Intellektuellen. Denn Moral und universelle Werte sind das Terrain des Intellektuellen.[10]

Der Intellektuelle analysiert, hinterfragt und kritisiert laut Sartre in öffentlichen Auseinandersetzungen und Diskursen gesellschaftliche Vorgänge, um deren Entwicklung zu beeinflussen. Dabei ist der Intellektuelle nicht an einen politischen oder moralischen Standort gebunden. Dies führt häufig zu Konflikten mit Politikern, Regierungen bzw. Machthabern.

In Bezug zu den Regierungen ihres jeweiligen Landes reicht ihre Haltung von offener Unterstützung der gerade anstehenden Reformen bis zu offener Ablehnung. Intellektuelle sind dabei zugleich Produzenten und Kritiker der Ideologie.

Sofern ihre eigenen Ideen mit denen der herrschenden Klasse übereinstimmen, können sie für diese sehr effektive Unterstützer sein; wo es an Übereinstimmung fehlt, können sie vom Staatswesen verfolgt und zu Dissidenten werden. Die erfolgreichen Dissidenten werden zum Teil wieder in ein Staatssystem eingebunden, sofern sie für dieses nützlich sind. So sind Intellektuelle für Machthaber sowohl unbequeme als auch effektive Mittel in der innovativen Fortentwicklung der Gesellschaft. Der französische Philosoph Julien Benda (1867–1956) betonte bereits 1927 in seinem berühmten Essay Der Verrat der Intellektuellen die Neigung vieler Intellektueller, zu Erfüllungsgehilfen gesellschaftlicher Interessen und Ideologien zu werden.

Intellektuelle entwickeln untereinander informelle Beziehungen, die über die üblichen Lebensmittelpunkte von Arbeit und Familie hinausgehen. Intellektuelle Machthelfer im Staatsdienst sind so oft besser informiert als ihre behördlichen oder politischen Mitstreiter (und haben so deren Respekt, auch wenn sie wegen ihrer Kontakte zu politischen Gegnern misstrauisch beäugt werden). Unabhängig davon sind auch intellektuelle Gegner oft besser informiert über gesellschaftliche Probleme als die durchschnittliche Bevölkerung, selbst wenn das vorliegende Staatssystem die Pressefreiheit stark beschränkt hat. Diese innere Kenntnis staatlicher Details macht sie auch häufig zum Ziel der Nachrichtendienste anderer Staaten.

Die Lebhaftigkeit, Schnelle, Meinungsfreude und Verklatschtheit haupt- und großstädtischer Intellektuellenkreise führte oft zur Feindseligkeit gegen ihre Subkultur. Diese verband sich in Deutschland und Österreich nach dem Ersten Weltkrieg auch mit antijüdischen Ressentiments.

Bernhard von Mutius (* 1949) (Herausgeber des Buchs Die andere Intelligenz, 2004) äußerte die These, es bilde sich ein neuer Typ des Intellektuellen heraus, der als Wissensarbeiter (egal ob fest angestellt oder freiberuflich) in diversen Organisationszusammenhängen mit komplexen Entwicklungsprojekten betraut ist – Projekte, die wissenschaftliche und technische Innovationsvorhaben ebenso wie soziale und kulturelle Veränderungs- und Lernprozesse umfassen. Er nennt ihn den „konstruktiven Intellektuellen“. Hierbei wird erwartet, die Wirklichkeit als einen – gemeinsam mit anderen zu konstruierenden und veränderbaren – Möglichkeitsraum zu begreifen und aus der Analyse daraus handhabbare Vorschläge zu generieren. Neben der organisatorischen Anbindung als Beratergruppe innerhalb größerer Institutionen gibt es auch die Ausgründung als formal selbständige Denkfabrik.

Laut Rainer Lepsius besteht ein enger Zusammenhang zwischen hegemonialem Wertekanon und legitimer Intellektuellenkritik. Die Legitimität der Intellektuellenkritik hänge vom Geltungsstatus jener allgemeinen Werte ab, deren Realisierung der Intellektuelle einmahnt. Auch bei allergrößtem Dissens müsse er sich auf das gemeinsam Geteilte berufen können. Nur auf diese Weise könne seine Kritik sozial anschlussfähig werden.[11]

Wenn jedoch die Gesellschaft fragmentierter und der gesellschaftliche Wertekanon infolge zunehmend verbreitertem science denialisms[12] vielfältiger und konfliktreicher, durch Inkommensurabilität[13] der Weltbilder strittiger wird, so wird auch der Detaillierungszwang für Intellektuelle größer und sie sehen sich dann in gesteigertem Maße gezwungen, für ihre Kritik unter Rekurs auf entsprechendes Expertenwissen zu argumentieren, um sie so sozial anschlussfähig zu machen. Alexander Bogner sieht diesen Fall in den letzten Jahren eingetreten, da in der Finanzkrise von 2008, in der Klimakrise sowie in der Flüchtlingskrise seit 2015 in „›postheroischen‹ Einsätzen ... humanitäre, politische und kulturelle Kollateralschäden einberechnet (werden), es werden Alternativen erwogen“. Es werde „so lange wie möglich abgewartet und erst dann, wenn es nicht mehr anders zu gehen scheint, interveniert“. Anstelle grundsätzlicher „Systemkritik erleben wir aufwendige Berechnungen zur globalen Klimaerwärmung und zähe Verhandlungen über transnationale Regelwerke“. Dies lege „die Vermutung nahe, dass in der Wissensgesellschaft dem Intellektuellen die Stunde längst geschlagen hat“.[14] Wenn Bogner mit dieser Befürchtung Recht haben sollte, würde dieses mit der Wende zum 20. Jahrhundert aufgetretene Intellektuellentum bald nach dessen Ende wieder untergehen.

{{#invoke:Vorlage:Anker|f |errCat=Wikipedia:Vorlagenfehler/Vorlage:Anker |errHide=1}}Sogenannte „Intelligenz“

Als die Intelligenz (wohl aus dem Russischen; siehe Intelligenzija) bezeichnet man zusammenfassend soziale Gruppen in einer Gesellschaft, in der sich Intellektuelle zu Gruppen formieren. Teils sind damit Abgrenzungen und Privilegien verbunden.

Einzelne Gruppen bzw. Kategorisierungen sind:

Intellektuelle in der Literatur

Intellektuelle sind die Hauptfiguren in vielen Intellektuellenromanen. Einige bedeutende Beispiele:

Der Übergang zum Künstlerroman ist fließend.

Siehe auch

Literatur