Kaiser und Patriot

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Textdaten
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Autor: Ludwig Storch
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Titel: Kaiser und Patriot
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 465
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Kaiser und Patriot.

Kaiser Karl, der Herr der Franken,
Sucht Italiens Gewinn;
Nicht der Alpen Felsenschranken
Hemmen seinen Heldensinn.
5Der schon lang gewohnt zu siegen
In der heißen Sachsenschlacht,
Führt auf ihren Wolkenstiegen
Seines Heeres junge Macht.

In dem blüh’nden Ländergarten,
10Von des Po’s Gewalt durchbraust,
Wo der edlen Longobarden
Ritterliche Tugend haust,
Schlägt er mit den Löwenbranken
Seinen Gegner in den Staub,
15Und dem glückgekrönten Franken
Fallen Land und Volk zum Raub.

Der besiegten Longobarden
König Desiderius
Trägt mit stillem Schmerz des harten
20Schicksals unverdienten Schluß.
Tiefer wird die große Seele
Seines Kanzlers doch betrübt,
Daß der Freiheit Sonne fehle
Seinem Volke, das er liebt.

25Und wie brünstig hat dies Lieben
Stets seiner Brust gewacht!
Hat mit Jünglingsgluth geschrieben,
Was das Heldenvolk vollbracht!
Wie Homer einst in Gedichte,
30Webet Paulus Warnefried
Seinen alten Stamms Geschichte
In ein hochbegeistert Lied.

Als den Besten nennt ihn Jeder,
Dessen reichbegabter Geist
35Wie kein Andrer mit der Feder
Seiner Ahnen Größe preis’t,
Ihren Ruhm der Welt zu lehren
Als ihr ebenbürt’ger Sohn.
Also steht in hohen Ehren
40Paul, der würd’ge Diakon.

An der Väter großen Tagen
Hängt sein schwärmerischer Blick,
Darum kann er nicht ertragen
Seines Volkes Mißgeschick.
45Seine Seele, nicht gebeuget,
Stiftet kühn, geheimen Bund,
Und von hehrem Muthe zeuget
Herrlich sein beredter Mund.

Wenn er so begeist’rungtrunken
50Von vollbrachten Thaten spricht,
Wirft er seines Zornes Funken
In der Hörer Angesicht.
Wie der Knechtschaft Schmach zu rächen,
Gibt er klug erdachten Rath,
55Und der Franken Macht zu brechen,
Drängt er heiß zur Waffenthat.

Aber ach, der Longobarden
Alter Heldenmuth verschied.
Auf Verrath nicht lange warten
60Darf der edle Warnefried.
Ihn verdammt zu Kerkerwänden
Streng das fränkische Gericht,
Aber Karls Befehle senden
Ihn zur düstern Buße nicht.

65Doch kaum ist ein Jahr verflossen,
Als erlauscht der Richter Ohr,
Daß mit seinen Stammgenossen
Warnefried sich neu verschwor.
„Den Verbrecher werft in Bande!“
70Tönt der Franken grimmer Schrei.
Aber von der Ketten Schande
Hält der große Karl ihn frei.

Warnefried wirkt ohne Wanken,
Daß der Brüder Muth er weckt,
75Doch sein Streben wird den Franken
Auch zum dritten Mal entdeckt.
Und er steht vor dem Gerichte
Unerschrocken, stolzen Blicks:
„Nimmer meinen Sinn zu nichte
80Macht der Wechsel des Geschicks!“

Da zu ungezähmten Grimmes
Flammen wächst der Richter Wuth,
Und es lechzt ihr furchtbar schlimmes
Unheil nach des Dichters Blut.
85Beide Augen, beide Hände
Spricht ihm ab ihr Rachewort,
Und so leb’ er bis zum Ende
Lichtlos und verstümmelt fort!

Lächelnd und mit milden Zügen
90Hört das Urtheil Karl und spricht:
„Laßt euch an dem Spruch genügen,
Doch vollzogen wird er nicht.
O wo nähm’ ich andre Augen,
Die so klar die Dinge sehn,
95Und wo Hände, die da taugen,
Zu beschreiben sie so schön?“

 L. Storch.