Kanalisation

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Kanalisation in Paris
Kanalisation in Paris
Schacht in Brighton
Kanalisation aus der Antike (Athen)
Plan der Kanalisation Wiens, 1739

Eine Kanalisation ist eine Anlage zur Sammlung und Ableitung von Abwasser, Regen- oder Schmelzwasser durch unterirdische Kanäle im Zuge der Abwasserbeseitigung. Regionale Bezeichnungen für die Kanalisation sind Dole, Siel oder auch Beschleusung.

Zur Kanalisation gehören neben dem Kanalnetz auch Sammel-, Pump-, Absperr- und mechanische Reinigungsanlagen. Das gesammelte Abwasser wird zu Abwasserbehandlungsanlagen (meist Kläranlagen) transportiert oder direkt in Gewässer, in diesem Zusammenhang als Vorfluter bezeichnet, eingeleitet.

Kanalisation deckt sich teilweise mit dem Begriff Entwässerungsanlage. Dabei handelt es sich gemäß DIN EN 752-1:1995 um „ein System von Rohren und Zusatzbauten zur Ableitung von Schmutzwasser- und/oder Regenwasser zu einer Senkgrube, Kanalisation oder sonstigen Entsorgungseinrichtung“.

Bei vollständig gedeckter Kanalisierung natürlicher Fließgewässer spricht man von Verrohrung. Beispiele sind der Darmbach in Darmstadt, der Salzbach in Wiesbaden samt Zuflüssen, der Wuppertaler Briller Bach und der Mirker Bach, in Österreich der Grazbach in Graz und der Wienfluss in Wien.

Entwicklung

Mit der Bildung von zusammenhängenden Siedlungen entstanden hygienische Probleme durch Abfälle, Abwässer und Überflutungen. Die einfache Verfügbarkeit von Trinkwasser war ein Hauptgrund für die Entstehung von Siedlungen an Bächen und Flüssen. Die Gewässer konnten als natürliche Vorflut zugleich auch zur Ableitung der Abwässer genutzt werden.

Bevor unterirdische Kanalsysteme angelegt wurden, liefen Abwässer zunächst offen in Rinnsteinen entlang der Straßen und sammelten sich in kleinen Bachläufen und anderen natürlichen Gewässern.

Um Flut- und Regenwasser schnell ableiten zu können, entwickelten sich in Siedlungen früh erste Kanalisationen. Da Schmutz und Abfälle durch das Regenwasser fortgespült wurden, während Abwässer auf den einzelnen Parzellen meist versickerten, wird diese frühe Form der Kanalisation auch als Schwemmkanalisation bezeichnet.

Erste Entwässerungskanäle lassen sich um 3000 v. Chr. im Euphrattal nachweisen. Von ca. 2600 bis 1800 v. Chr. verbreitete sich die Indus-Zivilisation auf der Fläche des heutigen Pakistan. Sie kannte gepflasterte Straßen mit Gullys sowie Haustoiletten, die gemauerte Entwässerungskanäle speisten. Diese werden zu den ältesten Kanalisationen der Welt gezählt. In Mohenjo-Daro können noch heute die aus Ziegeln gemauerten Hausanschlüsse und Kanäle besichtigt werden, welche das Abwasser ableiteten. Zu Zeiten der Römer wurden Schwemmkanalisationen verwendet; meistens handelte es sich dabei allerdings um offene Gerinne, wegen des hohen Bauaufwandes waren Abwasserrohre selten. Die bekannteste römische Kanalisation ist die Cloaca Maxima in Rom. Der Rest einer unterirdischen römischen Abwasserkanalisation ist in der Kölner Altstadt noch heute begehbar.

{{#invoke:Vorlage:Anker|f |errCat=Wikipedia:Vorlagenfehler/Vorlage:Anker |errHide=1}}Im frühen europäischen Mittelalter ging das Wissen um die hygienische Bedeutung einer geordneten Abwasserentsorgung weitgehend verloren. Erst in der Neuzeit wurde in den aufgrund der Industrialisierung stark gewachsenen Städten eine geordnete Abwasserentsorgung installiert. Im Jahre 1739 war Wien als erste Stadt Europas vollständig kanalisiert. Noch im Jahr des Großen Brandes von 1842 wurde in Hamburg mit dem Bau des ersten modernen Kanalisationssystems auf dem europäischen Festland begonnen. Ab 1856 beabsichtigte London nach Erfahrungen mit mehreren Cholera-Epidemien den Bau eines Kanalisationssystems. Final beschlossen wurde das Vorhaben im Jahr des „Großen Gestankes“ (1858).

Die Kanalisation von Berlin-Charlottenburg um 1900 nebst Darstellung der Rieselfelder in Gatow

Am Beispiel von Berlin lassen sich vier Phasen der modernen Wasserwirtschaft in Ballungszentren unterscheiden: 1856–1874, 1874–1900, 1900–1925 und 1925–1940. Die heutigen Berliner Wasserbetriebe wurden in der ersten Phase durch ein englisches Privatunternehmen realisiert. Die Übernahme des Wasserwerks in städtische Hand erfolgte 1874. Danach wurde bis zum Jahr 1900 eine flächendeckende Grundversorgung aufgebaut. Die Abwässer wurden auf außerhalb der damaligen Stadt gelegenen Stadtgütern verrieselt. Der Auf- und Ausbau eines leistungsfähigen Kanalisationssystems begann dagegen später in der zweiten Phase. In Berlin wurden damals durch längere empirische Untersuchungen unter der Leitung Rudolf Virchows schwerwiegende technische Fehler bei Konzeption und Bau der Kanalisation und somit hohe Fehlinvestitionen vermieden – im Gegensatz etwa zu Frankfurt, Düsseldorf, Essen und Münster. Die Entwicklung der biologischen Abwasserreinigung und des Belebtschlammverfahrens folgte in den Jahren 1900–1940.

Im ländlichen Raum entstand die heutige Kanalisation im Regelfall durch die sogenannten Bürgermeisterkanäle.

Das Leipziger Mischwassernetz mit einer Länge von mehr als 2.700 Kilometern verfügt über eine sogenannte Kanalnetzsteuerung, die es ermöglicht, größere Regenwassermengen im Kanal zwischenzuspeichern, die ansonsten gemeinsam mit dem ungereinigten Abwasser über Überläufe in den Vorfluter abgeflossen wären. Das Wasser wird dann nach und nach in Leipzigs größtem Klärwerk im Rosental abgeleitet. Das System schützt das Klärwerk vor Überflutung und vermindert die Belastung umliegender Gewässer wie Elstermühlgraben oder Parthe mit Mischwasser.

Entwässerungsverfahren

Überwiegend werden der Kanalisation heute Siedlungsabwässer von Haushalten und Kleingewerbe und ein großer Teil der Niederschlagsabwässer von Dachflächen und versiegelten Oberflächen (Straßenablauf) zugeführt. Aufgrund der Verunreinigung durch Mineralöle, Salze oder andere Chemikalien werden Industrieabwässer meistens in firmeneigenen Klär- oder Abscheideranlagen vorgeklärt, bevor sie in die öffentlichen Systeme eingeleitet werden dürfen.

Wurden Abwässer in Deutschland und Österreich noch bis in die 1960er-Jahre (in ländlichen Gebieten in Ausnahmefällen bis heute) dezentral in Senk- und Sickergruben geleitet, so wurden diese Hausanlagen in den letzten Jahrzehnten von den Kommunen in Ortskanalisationen zusammengefasst und Kläranlagen zugeleitet. Das öffentliche Kanalnetz besteht aus Kanälen, Schächten, Sonderbauwerken (Regenüberlaufbecken, Abwasserpumpwerk, Pumpstationen, Kurvenbauwerken, Auslässen) sowie, je nach örtlicher Satzung, Anschlussleitungen bis zu Grundstücksgrenzen oder zu Revisionsschächten.

Typen nach Abfluss

Nach dem Abfluss unterscheidet man folgende Entwässerungssysteme:

Mischsystem (Mischkanalisation)

Haus-, Industrie- und Niederschlagsabwässer werden gemeinsam abgeführt.

Modifizierte Mischkanalisation

Schmutzwässer sowie behandlungsbedürftige Niederschlagsabwässer werden zusammen abgeführt. Nicht behandlungsbedürftige Niederschlagsabwässer werden vor Ort versickert oder direkt oder indirekt in ein Gewässer geleitet.

Trennsystem (Trennkanalisation)

Schmutzwässer werden in einem Kanal abgeführt, Niederschlagsabwässer in einem separaten Kanal. Wegen der in der Regel geringen Schmutzfracht von Regenwässern werden diese meistens direkt oder indirekt (etwa über Regenwasserrückhaltebecken) in Gewässer eingeleitet und nicht in Kläranlagen behandelt.

Erweiterte Trennkanalisation

Schmutzwässer und behandlungsbedürftige Niederschlagsabwässer werden in separaten Kanälen abgeleitet. Nicht behandlungsbedürftige Niederschlagsabwässer werden vor Ort versickert oder direkt oder indirekt in ein Gewässer geleitet.

Sonderverfahren

Bei abgelegenen Gebäuden oder Siedlungen können, abhängig von Abwasseraufkommen und -beschaffenheit, auch Druck- oder Vakuumentwässerungsverfahren und Speicherung in abflusslosen Sammelgruben mit Entsorgung durch Fahrzeuge zur Entsorgung der Abwässer verwendet werden. Auch bei der örtlichen Abwasserreinigung durch Kleinkläranlagen (Tropfkörper, Belebtschlammverfahren, Pflanzenkläranlagen und Rieselfelder (Abwasserverrieselung)) sind Zuleitungskanäle erforderlich. Teilweise sind auch zusätzliche Kanalsysteme für Drainagen oder Fremdwasser vorhanden, die direkt in einen Vorfluter einleiten.

In Deutschland überwiegt bis heute die Mischkanalisation, mit der etwa 60 % der Siedlungsgebiete aller Einwohner entwässert werden. Beim Neubau von Anlagen ist gemäß Wasserhaushaltsgesetz eine Trennkanalisation vorgeschrieben. Auch wandelte sich die Entwässerungskonzeption in den letzten Jahren. Von der ableitungsorientierten Sicht und im Sinne einer wirtschaftlichen und ökologischen Sichtweise gewinnt die dezentrale Regenwasserversickerung vor Ort zunehmend an Bedeutung.

Typen nach Größe

Nach der Größe unterscheidet man:

Hauskanalisation

Auf privaten Grundstücken werden heutzutage meist Rohre mit der Nennweite DN 100 (Rohrdurchmesser 10 cm) bis DN 200 (20 cm) verwendet. Zur Hauskanalisation gehören Ausgüsse, Toiletten, Dachentlüftungen und hausinterne Gullys (die Entwässerungsgegenstände). Die Hauskanalisation wird in das öffentliche Kanalnetz entsorgt oder mündet in Abwasserreinigungsanlagen beziehungsweise abflusslosen Sammelgruben in der unmittelbaren Nähe des zu entwässernden Objektes. Die Entwässerungsgegenstände eines Hauses werden über Geruchsverschlüsse (Siphon) angeschlossen und zu den Fallrohren entwässert. Die Fallrohre münden in den Grundkanal, der das Abwasser zum Hausanschlussschacht leitet. Eventuell ist eine Abwasserhebeanlage für tiefliegende Geschosse erforderlich. Um Schäden durch Rückstau aus dem Kanalnetz und daraus resultierende Überflutungen zu vermeiden, sollten alle Entwässerungsgegenstände über der Rückstauebene (zumeist die Straßenoberkante, da bei Überlastung der Ortskanalisation das Abwasser über die Schächte austritt und daher der Wasserspiegel im Ortskanal nur bis dort ansteigen kann) angeordnet sein. Rückstausicherungen sind für Entwässerungsgegenstände unterhalb der Rückstauebene vorzusehen, sind jedoch nicht völlig zuverlässig, wenn diese nicht den einschlägigen Normen entsprechen. Da im Gebäude die Entwässerung nach dem Trennsystem zu erfolgen hat, darf die Fallleitung der Dachrinnen nicht auf die Grundleitung geschlossen werden. Dieses geschieht am besten im Revisionsschacht. Die Fallrohre sind über Dach zu entlüften, um ein Leersaugen von Geruchsverschlüssen zu verhindern sowie eine Abführung der Gerüche aus dem Kanalnetz zu ermöglichen. Aus diesem Grund sollten auch in Grundkanälen keine Geruchsverschlüsse vorgesehen sein.

Beim Hausanschlussschacht und im Entwässerungsnetz sollten Reinigungsöffnungen angeordnet werden. Als Material der Hauskanalisation wird zumeist Kunststoff, Grauguss oder Steinzeug eingesetzt. Die Materialwahl richtet sich nach der Aggressivität des Abwassers (bei Kleingewerbe), dem Rohrdurchmesser, der Verarbeitung und den Kosten.

Ortskanalisation

Hierzu gehören die Anschlusskanäle, die in Straßenkanäle münden, die zu Neben- und Hauptsammlern zusammengeführt werden. Es werden heutzutage meist Rohre mit der Bezeichnung DN 250 (Rohrdurchmesser 25 cm) bis DN 800 (80 cm) verwendet. Die Hauptsammler leiten die Abwässer einer Kläranlage zu. Neben dem Leitungsnetz gibt es Speicherbecken sowie Regenüberläufe und Regenbecken, die direkt in Vorfluter münden. Sind längere Strecken – wie im ländlichen Bereich – oder Höhenunterschiede zu überwinden, werden zusätzlich Pumpwerke eingesetzt. Als Material wurde in der Vergangenheit Grauguss oder Steinzeug eingesetzt. Seit Ende des 20. Jahrhunderts wird im Zuge der technischen Entwicklung verstärkt Kunststoff verwendet.

Kanäle

Üblicherweise weisen Abwasserkanäle ein Gefälle von 0,5 bis 2 % und eine Nennweite zwischen 200 mm (oder DN 250 nach den neueren technischen Regeln) und teilweise von mehreren Metern auf. Die Kanäle sind in der Regel als so genannte Freispiegelleitungen ausgeführt, so dass der Wasserstand im Rohr unter dem Rohrscheitel liegt. Die Kanäle sind nur in Ausnahmefällen komplett mit Abwässern gefüllt; etwa bei starken Regenereignissen bei Misch- oder Regenwasserkanalisation. In Sonderfällen, z. B. bei geringem Gefälle im Einzugsgebiet oder Transportleitungen, werden Unterdrucksysteme oder Druckleitungen verwendet. Ist das Rohrgefälle zu gering oder sind Steigungen zu überwinden, müssen zusätzliche Pumpenanlagen vorgesehen werden. Zwischen längeren Rohrabschnitten liegen Kontrollschächte. Die Leitungen haben im Vergleich zu Trinkwasserleitungen große Querschnitte. Hauptabwassersammler in Ballungsräumen können begeh- und teilweise sogar mit Booten befahrbar ausgeführt sein; so das Geest-Stammsiel bei den Hamburger Landungsbrücken. In manchen europäischen Ländern und Städten (z. B. Paris) wurden die begehbaren Kanäle auch zur Verlegung von Versorgungsleitungen (Wasser, Gas, Elektrizität) genutzt, was in Deutschland nicht üblich ist. Für entlegene Ansiedlungen, etwa bei abgelegenen Gehöften oder Wochenendhaussiedlungen, werden in Ausnahmefällen auch Druck- oder Vakuumentwässerungen oder, um lange Kanäle zu vermeiden, dezentrale Kleinkläranlagen angewandt. Früher wurden Kanäle häufig aus Ziegeln aufgemauert oder in Ton- oder Steinzeugrohren ausgeführt. Je nach Medium und Belastung der Rohre werden heute Kanäle in den verschiedensten Materialien wie Faserbeton, Gusseisen, Stahl, Steinzeug, Kunststoff oder Beton ausgeführt.

Misch- und Trennsystem

Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten, das Schmutzwasser und das Regenwasser zu entsorgen. Entweder in einer gemeinsamen Leitung (Mischsystem oder Mischverfahren) oder in getrennt ausgeführten Leitungen (Trennsystem oder Trennverfahren). Beide Verfahren haben ihre Vor- und Nachteile.

Kosten

Das Mischverfahren verursacht normalerweise geringere Baukosten für den Leitungsbau als das Trennverfahren, da nur ein Kanal notwendig ist. Kläranlagen und Pumpstationen jedoch sind für große Wassermengen zu bemessen und werden damit baulich und betrieblich teurer. Das Trennverfahren hat den Vorzug der kleineren Kläranlagen und Pumpstationen mit entsprechend niedrigeren Bau- und Betriebskosten. Preislich liegen daher beide Systeme in etwa gleichauf.

Wandel

Dem Mischsystem wurde früher häufig nicht nur wegen der geringeren Investitionskosten der Vorzug vor dem Trennsystem gegeben, da von relativ wenig Schmutzwasser ausgegangen und ein Starkregen als willkommene Spülung des Leitungsnetzes betrachtet wurde. Der seltene Überlauf des dann stark verdünnten Schmutzwassers über ein Regenüberlaufbauwerk in den Vorfluter konnte daher toleriert werden, dafür wurde bei Regenbeginn und bei kleineren Regen der Schmutz der Straßen vom Vorfluter ferngehalten.

Die zunehmende Besiedelung und Verlängerungen der Kanalleitungen führten und führen zu einer immer größer werdenden Schmutzwasser-Grundlast und die Überlastfälle werden häufiger. Dadurch entsteht Rückstau des Abwassers in Keller und Überschwemmungen von Straßen, die wegen der mitgeführten Fäkalien besonders unangenehm sind. Es entstehen weitere Entlastungsbauwerke und Rückstauverschlüsse. Die Fäkalien gelangen durch die Überlastfälle ungeklärt in den Vorfluter, was die biochemische Verschmutzung zu groß werden lässt, oder es werden neue und größere Kanalisationen und Bauwerke erforderlich.

Seit den 1970er Jahren baute man daher vermehrt auf das Trennsystem. Inzwischen wird in der Städteplanung oft versucht, lediglich das Abwasser in einer Kanalisation abzuführen und Regenwasser vor Ort zu versickern; vorgeschrieben ist daher eine entsprechende Gestaltung. Auch die Kosten können hierdurch reduziert werden.

Sonderbauwerke