Genossenschaft

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Deutsches Genossenschafts­museum in Delitzsch (Sachsen) und Gründungshaus der ersten gewerblichen Genossenschaft; hier gründete 1849 Hermann Schulze-Delitzsch gemeinsam mit 57 Delitzscher Schuh­machern eine „Schuhmacher-Assoziation“

Genossenschaft oder Kooperative (von Kooperation) bezeichnet einen Zusammenschluss oder Verband von Personen (natürlichen oder juristischen) zu Zwecken der Erwerbstätigkeit oder der wirtschaftlichen oder sozialen Förderung der Mitglieder durch gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Eine genossenschaftliche Kooperation bietet sich immer dann an, wenn das Verfolgen eines wirtschaftlichen Ziels die Leistungsfähigkeit des Einzelnen übersteigt, zugleich aber die selbstständige Existenz gewahrt werden soll.[1] Anders als bei Kapitalgesellschaften (AG, GmbH) hängt die Geschäftspolitik nicht von den Interessen außenstehender Investoren ab, sondern wird allein von den Belangen der Mitglieder bestimmt.[2] Bei einer Genossenschaft handelt es sich um eine Gesellschaft (juristische Person) des privaten Rechts.

In Deutschland ist die Rechtsgrundlage das Genossenschaftsgesetz (GenG). Jede Genossenschaft muss demnach über eine Satzung verfügen, welche die gesetzlichen Bestimmungen ergänzt und als innere Verfassung einer Genossenschaft gilt, und Mitglied eines Prüfungsverbandes sein, welcher in regelmäßigen Abständen die Wirtschaftlichkeit und Rechtmäßigkeit der Genossenschaft überprüft.

Historisch werden Genossenschaften oftmals mit den Begriffen Gilde oder Zunft beschrieben. Die moderne Genossenschaftsstruktur geht auf die Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch zurück, welche Mitte des 19. Jahrhunderts erste Kredit- bzw. Einkaufsgenossenschaften gründeten. Die Genossenschaft ist seit Einführung der Europäischen Genossenschaft nicht mehr nur auf wirtschaftliche Aktivitäten beschränkt. In Deutschland existieren insgesamt knapp 8000 Genossenschaften.[3]

Denkmal für die Brunnen­genossen­schaft Burg-Meilen (Schweiz)

Geschichte

Erinnerung an die Eilenburger Darlehenskasse, eine der ältesten Kreditgenossenschaften Deutschlands, 1850 gegründet. Ort: Eilenburg, Nikolaiplatz.

Im Mittelalter entwickelten sich Zusammenschlüsse für einen gemeinsamen Zweck („Einungen“). Beispiele sind Beerdigungsgenossenschaften, um den Genossen ein angemessenes Begräbnis zu ermöglichen, oder eine Genossenschaft, um einen Deich zu erhalten. Im Bergbau bildeten sich die Knappschaften heraus (Beispiel Goslar). Im Alpenraum schlossen sich die Siedler zu „Alpgenossenschaften“ zusammen, weil Erneuerungen der Alpwirtschaft ein Gemeinwerk erforderten. Die Genossenschaft regelte die gemeinschaftliche Nutzung der Weiden und Alpen und beschränkten die Veräußerung des Gemeineigentums.

Das moderne Genossenschaftswesen folgte der Industrialisierung. Es ist kein Zufall, dass die Geschichte in Großbritannien beginnt, denn hier stand auch die Wiege der Industrie und damit der Arbeiterbewegung.[4] Als Begründer der ersten Genossenschaftsbewegung gilt der britische Unternehmer Robert Owen (1771–1858): 1799 begann er in seiner Baumwollspinnerei in New Lanark (Schottland) ein Experiment für menschenwürdigere Arbeits- und Lebensbedingungen. Dadurch angeregt, wurden weitere Genossenschaften gegründet. Die erste Genossenschaft, die als Modell für Nachahmer entwickelt wurde, war die Rochdale Society of Equitable Pioneers: 1844 gründeten 28 Arbeiter der ansässigen Textilindustrie in Rochdale in Nordengland eine Genossenschaft.[5] Durch ihre größere Marktmacht sollte sie niedrigere Preise garantieren. „Dem Genossenschaftsmodell lagen die Rochdaler Grundsätze der demokratischen Entscheidungen und des Rückvergütungsprinzips zugrunde“ (Hasselmann 1968).[6]

Deutschsprachiger Raum

Im deutschsprachigen Raum schufen zwei Gründerväter etwa gleichzeitig und unabhängig voneinander erste Genossenschaftsmodelle. Neu war in Deutschland vor allem der kreditgenossenschaftliche Ansatz. 1847 rief Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888) in Weyerbusch den ersten wohltätigen Hilfsverein zur Unterstützung der notleidenden ländlichen Bevölkerung ins Leben, den Weyerbuscher Brodverein. Er gründete 1852 den „Heddesdorfer Wohlthätigkeitsverein“,[7] aus dem 1864 der „Heddesdorfer Darlehnskassenverein“ hervorging. 1862 entstand in Anhausen im Westerwald eine Darlehnskasse, die als die erste Genossenschaft im Raiffeisen’schen Sinne gilt (siehe Raiffeisen). Anhausen gehörte zur Samtgemeinde (Gemeindeverbund) Heddesdorf, dessen Bürgermeister Raiffeisen war.

Zur selben Zeit rief Hermann Schulze-Delitzsch (1808–1883) in Delitzsch eine Hilfsaktion ins Leben, die den in Not geratenen Handwerkern zugutekam. Nach den Grundsätzen der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung gründete er 1847 die „Rohstoffassoziation“ für Tischler und Schuhmacher und 1850 den gemeinnützigen „Vorschussverein“. 1849 und 1850 gründeten Bürger in Bad Düben und Eilenburg „Darlehnskassenvereine“. Noch vor Schulze-Delitzsch setzten dessen Initiatoren auf die „Solidarhaft“ (Gesamtschuld). Schulze-Delitzsch wandelte seinen Delitzscher Wohltätigkeitsverein in einen Darlehnskassenverein um. Heute gehört das Geschäftsgebiet der drei ältesten sächsischen Kreditgenossenschaften zur Volksbank Delitzsch eG (vergleiche auch die katholische Darlehnskasse Münster).

Bereits vor Schulze-Delitzsch und Raiffeisen gab es in Deutschland Genossenschaften und Genossenschaftsbanken. Die älteste bekannte Kreditgenossenschaft der Welt ist die Privatsparkasse zu Lerbach. Sie wurde im späten 18. Jahrhundert in Lerbach im Harz als Sterbeversicherung von Bergarbeitern gegründet. 2006 fusionierte die Privatsparkasse und ist heute Teil der Volksbank im Harz. Die heute älteste am Standort bestehende Genossenschaftsbank ist die Volksbank Hohenlohe eG.[8] Sie wurde 1843 als Privatspar- und Leihkasse in Öhringen gegründet. Sie gilt als ältester Vorläufer der Volksbanken, weil Schulze-Delitzsch sie 1859 auf dem Vereinstag Deutscher Vorschuss- und Kreditvereine in Weimar[9] als Genossenschaftsbank seines Modells anerkannte.[10]

Die Ideen der liberalen Genossenschaftsbewegung beflügelten zunächst die Gründungen zahlreicher gewerblicher Kreditgenossenschaften. In den 1860er Jahren fanden sie große Resonanz in der sich neu gründenden deutschen Arbeiterbewegung, insbesondere Ferdinand Lassalle orientierte sich mit seinen Sozialismusvorstellungen stark an der Genossenschaftsidee.[11] Zu einer größeren Gründungswelle sozialistischer Genossenschaften kam es jedoch erst nach Gesetzesänderungen in den 1890er Jahren. Unter den liberalen als auch zwischen den liberalen und den sozialistischen Genossenschaftsbewegungen kam es zu erheblichen Konflikten, die auch in der Gesetzgebung ihre Spuren hinterließen.[12]

Etwa gleichzeitig etablierte sich das Genossenschaftsprinzip im Einzelhandel. So schufen im Jahr 1850 Handwerker und Arbeiter wiederum in Eilenburg mit der „Lebensmittelassociation“ die erste Konsumgenossenschaft in Deutschland, deren Tradition bis in die jüngste Vergangenheit von der Konsumgenossenschaft Sachsen Nord weitergeführt wurde. Der schweizerische Einzelhandel wird noch heute von den Genossenschaften Migros und Coop dominiert. 1948 gründete sich die Schweizer Selbstfahrergenossenschaft (SEFAGE) als erstes dokumentiertes Carsharing-Unternehmen.[13]

Die Förderung der Genossenschaften als staatliche Aufgabe wurde in die neuen Landesverfassungen von Bayern, Hessen, des Saarlandes, Hamburg und Bremen aufgenommen.[14] Auch waren die Wohnungsbaugenossenschaften bis 1990 durch die Wohnungsgemeinnützigkeit von Steuern befreit und gefördert.

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