Konservative Revolution

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Konservative Revolution ist ein Sammelbegriff für politische Strömungen, die sich in der Weimarer Republik entwickelten. Gemeinsam waren diesen Strömungen entschieden antiliberale, antidemokratische, antiegalitäre und ultranationalistische Züge. Ihre Ideologien werden von Historikern der vergleichenden Faschismusforschung vollständig oder zumindest teilweise einem eigenständigen, vom Nationalsozialismus abzugrenzenden „deutschen Faschismus“ zugeordnet. Damit unterschied sich die Konservative Revolution grundlegend vom traditionellen Konservatismusbegriff der Deutschen Zentrumspartei oder der Deutschnationalen Volkspartei und manifestierte sich nicht in einer politischen Partei. Die Konservative Revolution wird in der Geschichtswissenschaft als Wegbereiter für den Nationalsozialismus behandelt. Der Begriff wurde popularisiert durch das 1949 erstmals erschienene Handbuch Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932 von Armin Mohler. Heute greifen Vertreter der Neuen Rechten auf die Ideologiemuster der Konservativen Revolution zurück.

In der Fachwissenschaft ist der Begriff Konservative Revolution wegen der starken Heterogenität der damit zusammengefassten Ideologeme und weil er verwendet wird, um ultranationalistisches und antidemokratisches Denken salonfähig zu machen, bis heute umstritten. Seltener wird er in jüngster Zeit auch für verschiedene, meist dem Neokonservatismus zugeordnete Vorgänge, Personen und Tendenzen der jüngeren Vergangenheit verwendet.

Begriffsgeschichte

Die konservative Revolution

Friedrich Engels schrieb im Februar 1848 in Bezug auf den polnischen Novemberaufstand von 1830 (in französischer Sprache):[1]

„Sprechen wir es offen aus: der Aufstand von 1830 war weder eine nationale Revolution (er schloß drei Viertel Polens aus), noch eine soziale oder politische Revolution; er änderte nichts an der inneren Lage des Volkes; das war eine konservative Revolution.“

Der Begriff der „konservativen Revolution“ entsprach im englischen Sprachraum dem der Reform oder friedlichen Revolution. Der englische Gelehrte Thomas Babington Macaulay beschrieb im November 1848 die Glorious Revolution im Gegensatz zur Französischen Revolution als „preserving revolution“.[2] Sein Landsmann William Hepworth Dixon nutzte im zweiten Band seiner 1872 erschienenen historischen Abhandlung Free Russia den Begriff „conservative Revolution“[3] für die Auswirkungen der Großen Reformen Zar Alexanders II. innerhalb des christlich-orthodoxen Klerus. Der US-amerikanische Historiker John Fiske[4] gebrauchte das Attribut conservative, um die moderate Durchsetzung von Erneuerungen in der Amerikanischen Revolution im Vergleich zur Französischen Revolution zu benennen.

Armin Mohler nannte dagegen als früheste Datierung einen Artikel vom 24. Mai 1848 in der Zeitung Die Volksstimme, in dem das Wortpaar „Revolutionäre Reaktionäre und konservative Revolutionäre“ in einer Aufzählung vorkomme. 1851 habe nach Mohler möglicherweise der Autor Aurelio Buddeus in seinem Werk Russland und die Gegenwart den Begriff verwendet, und als Buchtitel tauche der Ausdruck „konservative Revolution“ bereits 1875 bei Juri Samarin (1819–1876),[5] einem Vorkämpfer für die Abschaffung der Leibeigenschaft in Russland und slawophilen Nationalisten, auf. Weiterhin zählte er den russischen Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski und Charles Maurras, Anführer der Action française, auf.[5]

Tatsächlich gebrauchte der Deutschbalte Aurelio Buddeus im Inhaltsverzeichnis seines zweiten Bandes von Russland und die Gegenwart 1851 den Untertitel „Revolutionärer Conservatismus“.[6] Er beschrieb damit das Zusammenspiel von Bürokratie und zentralistischer Macht in Russland. Die Macht des Zaren werde durch die forcierte Durchsetzung von Gesetzen gestärkt und das Aufkommen einer nichtzaristischen Führung verhindert. Juri Samarin veröffentlichte 1875 gemeinsam mit Fjodor Michailowitsch Dmitrijew die Schrift Revolutionärer Konservatismus (russ. Революционный консерватизмъ)[7], in der er die reaktionären Gegner der Landreform attackierte. Dostojewski griff namentlich auf Samarins Bezeichnung zurück, um eine Clique von Ordensträgern am russischen Hof als Gegenstück zu den Radikalen, Sozialisten und Nihilisten zu bestimmen.[8] Ähnliche Bedeutung hatte der Begriff „Revolutionär rückwärts“. In diesem Sinne steht der Begriff Konservative Revolution bei Samarin[9] wie Dostojewski für die Reaktion. Der reformierte Theologe Alexander Schweizer nannte bereits 1846 den Züriputsch, die gewaltsame Vertreibung der liberalen Zürcher Regierung im September 1839 durch die reaktionäre Landbevölkerung, eine „konservative Revolution“.[10] Lediglich auf Maurras trifft Mohlers Verständnis von der Konservativen Revolution zu.

Der Begriff im frühen 20. Jahrhundert

Um 1880 bis ins frühe 20. Jahrhundert unterlag der Begriff Konservative Revolution einem deutlichen Wandel, denn er sollte fortan mit einer Reform oder der Reaktion wenig gemein haben. Setzten sich die Angehörigen der Reaktion aus Adel und Klerus zusammen, gehörten die Vertreter der von Armin Mohler 1950 unter dem Schlagwort Konservativen Revolution zusammengefassten deutschen Antimodernisten mehrheitlich dem akademischen Bürgertum und der aufsteigenden Mittelschicht an.[11] Ihr Ziel war nicht die Wiedereinführung der Monarchie und die Rückkehr zu einem vorrevolutionären Zeitalter,[12] sondern – den Revolutionären nicht unähnlich – die Errichtung eines ahistorischen Idealzustandes. Anders als Konservative strebten sie keine Bewahrung durch Wandel an.[13] In der Frage nach der Französischen Revolution werden die Unterschiede zur Reaktion wie dem Konservatismus deutlich; will der Reaktionär die Revolution durch die Rückkehr zum vorrevolutionären Zustand dem Vergessen anheimgeben, gestaltet der Konservative ihre Auswirkungen, während der revolutionäre Konservative sie in der Zeit zu vernichten strebt. Trotz Mohlers Versuch, die christliche von einer heidnischen Zeitvorstellung zu unterscheiden, zeigt sich hier die Nähe zur apokalyptischen Zeitvorstellung.

Im deutschen Sprachraum kursierten Begriffe wie Konservative Kraft (Moeller van den Bruck, 1910), schöpferische Restauration (Rudolf Borchardt, 1927) deutsche Revolution (Edgar Julius Jung, 1933) oder Revolution von rechts (Hans Freyer, 1931). Nicht alle Vertreter jener Revolte gebrauchten den Begriff (Maurice Barrès), andere wollten diesen nur auf dem Gebiet des Geistes verwirklicht sehen und hatten vordergründig keine politischen Ambitionen.

Charles Maurras (1925)

Charles Maurras benutzte den Begriff in seinem Werk Enquête sur la monarchie (1900). Er beschreibt damit eine radikale Reaktion als Revolution gegen die Revolution, durch eine entschlossene und gut organisierte Minorität.[14]

„In der Praxis wird man eine Revolution, vor allem eine konservative Revolution, eine Restauration, eine Rückkehr zur Ordnung nur mit der Hilfe gewisser Elemente in Verwaltung und Militär erfolgreich durchführen.“[15]

Royalisten und Bourgeoisie wählten bis in die 1880er Jahre den Staatsstreich und die Einsetzung einer Diktatur als Mittel gegen die Republik. Die Taktik, durch eine Minorität gewaltsam politische Macht zu erlangen, hatten bereits die Republikaner und Mitglieder der Pariser Kommune Louis-Auguste Blanqui und Gaston Da Costa vertreten. Der Badische Revolutionär Karl Heinzen empfahl 1881 in Murder and Liberty, Gewalt gar als Mittel zum Zweck gegen europäische Monarchen und Zivilisten einzusetzen.

Thomas Mann bezog ihn in seiner Russischen Anthologie (1921) auf Friedrich Nietzsche:

„Seine Synthese ist die von Aufklärung und Glauben, von Freiheit und Gebundenheit, von Geist und Fleisch, ‚Gott‘ und ‚Welt‘. Es ist, künstlerisch ausgedrückt, die von Sinnlichkeit und Kritizismus, politisch ausgedrückt, die von Konservatismus und Revolution. Denn Konservatismus braucht nur Geist zu haben, um revolutionärer zu sein als irgendwelche positivistisch liberalistische Aufklärung, und Nietzsche selbst war von Anbeginn, schon in den ‚Unzeitgemäßen Betrachtungen‘, nichts anderes als konservative Revolution.“[16]

Mann hatte Dmitri Sergejewitsch Mereschkowskis 1903 ins Deutsche übersetzten Essay Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler. Eine kritische Würdigung ihres Lebens und Schaffens rezipiert. Der russische Symbolist sah in beiden Erzählern Vertreter des Kampfes zwischen Fleisch und Geist, dessen Versöhnung im Dritten Reich gelingen möge. In seinem 1947 veröffentlichten Roman Doktor Faustus gab der spätere Vernunftrepublikaner folgende Bestimmung:

„Radikalismus der Bewahrung, der nichts Kavaliersmäßiges mehr, sondern eher etwas Revolutionäres hatte und zersetzender anmutet als jeder Liberalismus, dabei aber eben doch, wie zum Hohn, einen löblich konservativen Appell besaß.“[17]

Hugo von Hofmannsthal, 1910

Hugo von Hofmannsthal wählte den Begriff am Ende seiner Rede Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation:[18]

„Der Prozess von dem ich rede, ist nichts anderes als eine konservative Revolution von einem Umfange, wie die europäische Geschichte ihn nicht kennt. Ihr Ziel ist Form, eine neue deutsche Wirklichkeit, an der die ganze Nation teilnehmen könne.“

Er wollte ausgehend von der Literatur ein nationales Traditionsbewusstsein schaffen, das auch durch historische Umwälzungen nicht zerrissen werden könnte. Während Frankreich als Nation durch ein unzerreißbares Gewebe der Sprache und des Geistes zusammengehalten werde, seien die „produktiven Geisteskräfte“ Deutschlands zerrissen; hier sei der Begriff der geistigen Tradition kaum anerkannt. Obwohl der Begriff bei Hofmannsthal noch nicht unmittelbar politisch gemeint war,[19] wurde die Rede von national-konservativer Seite positiv aufgegriffen. Das veranlasste Thomas Mann[20] gegenüber Hofmannsthal kurz darauf zu sorgenvollen Einwänden, wie er 1955 in einem Brief an Willy Haas schrieb:

„Und doch, in was für Mäuler ist das Wort von der Konservativen Revolution dann übergegangen! Es sind mir auch nicht ganz die Rechten, so fein sie sind, die auch heute diese Rede besonders hochhalten.“[21]

Ab etwa 1930 verwendeten der konservative Volkstums-Theoretiker Wilhelm Stapel und der Jurist und Politiker Edgar Julius Jung[22] den Begriff in ihren politischen Schriften.

1941 erschien in den Vereinigten Staaten das Buch The Conservative Revolution (dt.: Die Konservative Revolution – Versuch und Bruch mit Hitler) von Hermann Rauschning. Der ehemalige Senatspräsident Danzigs hatte sich von einem 1939 erschienenen Aufsatz des Germanisten Detlev W. Schumann (1900–1986) über Hofmannsthals Rede inspirieren lassen.[23][24] Darin definiert Rauschning die Konservative Revolution als Gegenkraft gegen die Bewegung, die mit der Französischen Revolution zum Sieg gekommen war, namentlich den Glauben an die Veränderbarkeit des Menschen, die verstandesmäßige Durchschaubarkeit aller Dinge und den Versuch, jeden Gegenstand allein aus sich selbst zu begreifen.[25]

Armin Mohler, der in den 1950er Jahren Privatsekretär Ernst Jüngers war, löste mit seiner Dissertation Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932 eine breite historisch-politische Debatte aus. Mohler bezog den Begriff auf etwa 350 Personen, die er fünf verschiedenen republikfeindlichen, aber nur zum Teil nationalsozialistischen Gruppen zuordnete. Diese stellte er als eine eigenständige Strömung der Weimarer Zeit mit einem politischen Profil dar, das sich zum Teil deutlich vom Nationalsozialismus unterschieden habe.

Trotz ähnlicher Denker und Strömungen in anderen europäischen Ländern – etwa Georges Sorel, Maurice Barrès, Julius Evola, Vilfredo Pareto oder Wladimir Zeev Jabotinsky[26] – wird der Begriff im Deutschen meist nur auf die deutsche Fraktion aus der Zeit der Weimarer Republik bezogen.

Wissenschaftliche Rezeption des Begriffs

Mohlers Begriff wird im wissenschaftlichen Diskurs heute weithin verwendet, um die weder nationalsozialistische noch monarchistische republikfeindliche Rechte der Weimarer Republik mit ihrer Kulturkritik und ihrem Widerstand gegen gesellschaftliche Modernisierungsprozesse zu beschreiben.[27] Für den französischen Germanisten Louis Dupeux war die Konservative Revolution in der Weimarer Republik die dominierende Ideologie, die als deutscher Präfaschismus (préfascisme allemand) anzusehen sei.[28]

Aufgrund der starken Heterogenität der so zusammengefassten Ansätze und Ideen ist der Begriff allerdings bis heute umstritten.[29] Der amerikanische Historiker Peter Gay rückt den Begriff „Konservative Revolution“ in einen Zusammenhang mit Prägungen wie „Jungkonservative“, „Nationalbolschewismus“ oder „Preußischer Sozialismus“:

„Das waren augenscheinlich verantwortungsvolle Versuche, sich von der herkömmlichen politischen Terminologie zu lösen, doch zeugten sie in Wirklichkeit nur von einem perversen Vergnügen am Paradoxen und waren ein bewußter, lebensgefährlicher Angriff auf die Vernunft.“[30]

Der Soziologe Stefan Breuer kritisiert: „Das Syntagma Konservative Revolution ist eine der erfolgreichsten Schöpfungen der neueren Ideengeschichtsschreibung […] ein unhaltbarer Begriff, der mehr Verwirrung als Klarheit stiftet.“ Gleichwohl sei er historisch wirksam geworden. Breuer schlägt stattdessen den Terminus „Neuer Nationalismus“ vor, der sich in der Fachwissenschaft aber nicht durchgesetzt hat.[31]

Die Historiker Eberhard Kolb und Dirk Schumann nehmen Anstoß an Mohlers apologetischer Tendenz: Er selbst habe sein Buch als „Hilfe für die rechte Intelligenz in Deutschland“ bezeichnet und sei bezeichnenderweise der Frage aus dem Weg gegangen, inwieweit die von ihm zusammengefassten Rechtsintellektuellen zum Aufstieg des Nationalsozialismus beitrugen.[32]

Der Historiker Volker Weiß kritisiert zahlreiche Auslassungen und Legenden, derer sich Mohler bedient habe. So lasse er die Verstrickungen mehrerer seiner Protagonisten in den Nationalsozialismus wie Carl Schmitt, Ernst Forsthoff, Hans Grimm, Giselher Wirsing oder Max Hildebert Boehm einfach weg. Andere wie Ernst Jünger oder Edgar Julius Jung hätten zwar eine gewisse Distanz zum Nationalsozialismus gehalten, stattdessen aber den italienischen Faschismus vorbehaltlos bewundert. Dass Mohler entschiedene Antisemiten wie Heinrich Claß, Hans F. K. Günther und Houston Stewart Chamberlain, die „aus der Vorgeschichte des Nationalsozialismus nicht wegzudenken“ seien, ebenfalls in die Konservative Revolution einreihe, mache seine Zusammenstellung „endgültig grotesk“. Bei seinem „zwischen Wissenschaft und Mythos“ schwankenden Vorgehen sei es Mohler in erster Linie darum gegangen, eine nicht-nationalsozialistische deutsche Rechte zu konstruieren und die Reichsidee in den politischen Diskurs der Bundesrepublik hinüberzuretten. Volker Weiß konstatiert: „Mohler hatte mit der Erfindung der ‚Konservativen Revolution‘ der Geisteswelt des Faschismus unmittelbar nach dessen Niederlage ein Refugium geschaffen.“[33]

Der Journalist Thomas Assheuer bezeichnet Mohlers Arbeit als „Verkaufstrick“ in der Absicht, ein politisches Bündnis der Rechtsradikalen mit den Konservativen der Bundesrepublik zu ermöglichen:

„Die hochaggressiven Traditionsbestände sollten nicht mehr als rechts, sie sollten fortan als konservativ etikettiert werden. […] Das alte Gedankengut [wurde] säuberlich vom Faschismusverdacht gereinigt und dem Publikum als normale konservative Grundnahrung schmackhaft gemacht.“[34]